Man hätte der Queen in diesem Jahr gewünscht, dass es ähnlich vergnüglich verlaufen wäre wie in einem wunderbaren Roman über sie: In „Die souveräne Leserin“ lässt Autor Alan Bennett die Monarchin in einem der Palasthöfe durch Zufall einen Bücherbus entdecken, wo sie sich fortan mit Büchern – nicht alle schicklich – eindeckt und dann mit ihren Gästen über Literatur plaudert. Unter anderem mit dem französischen Präsidenten über den Skandalschriftsteller Jean Genet. „Sicher, er war homosexuell und ein Sträfling“, weiß die belesene Königin. „Aber war er tatsächlich so schlimm, wie man ihn darstellte?“
Nun, das echte Leben hatte in diesem Jahr eher eine pechschwarze Komödie für Queen Elizabeth II. (93) auf dem Spielplan. 2019 war zwar nicht mit dem „Annus horribilis“ 1992 vergleichbar, in dem die Ehen von drei ihrer Kinder (Anne, Andrew, Charles) in die Brüche gegangen waren und zudem das Schloss Windsor durch ein Feuer schwer beschädigt wurde; dennoch war es ein wenig amüsantes Jahr, das sie in ihrer Weihnachtsansprache mit einem Wort beschrieb, das aus ihrem Mund nahezu flapsig klang. „Bumpy“, also holprig, uneben, unruhig sei es gewesen. Auch von „lang anhaltenden Differenzen“ war die Rede, die jedoch – und das klang fast nach verzweifeltem Zweckoptimismus – durch „kleine Schritte im Glauben und in der Hoffnung“ beigelegt werden könnten.
Dieses „Bumpy Year“ hat im Jänner mit den schon rituellen Brexit-Wirren begonnen und endete im Dezember, als die Queen bei der Parlamentseröffnung eine Rede halten musste, die das Regierungsprogramm des verhaltensoriginellen, aber fulminant siegreichen Boris Johnson beinhaltete. Der Brexit-Berserker muss der Königin ein Gräuel sein, aber das „Remain!“, das ihr wohl auf den Lippen liegt, darf die streng neutrale Monarchin keineswegs aussprechen.
Mehr als holprig war dieses Jahr auch im familiären Bereich. Prinz Andrew, der Königin Sorgen- und Lieblingskind, ist in einen äußerst unappetitlichen Sexskandal verwickelt und hat die Affäre durch einen katastrophalen TV-Auftritt nur noch verschlimmert. Auch der Haussegen zwischen ihren Enkeln Prinz William und Prinz Harry scheint schief zu hängen. Harry und Herzogin Meghan, die sich in diesem Jahr auch ungewöhnlich heftig gegen mediales Bashing zur Wehr gesetzt hatten, verbrachten das Weihnachtsfest heuer nicht im Kreise der königlichen Familie auf Schloss Sandringham, sondern feierten lieber bei Meghans Mutter in Kanada. Auch darüber war Oma wenig erfreut.
Und dann noch Prinz Philip, jener geliebte Mann, der schon ein Leben lang an der Seite – bzw. einen Schritt hinter – der Königin her zottelt. Nur mit Mühe konnte der 98-Jährige nach mehreren Unfällen dazu überredet werden, sich doch nicht mehr selbst ans Steuer zu setzen. Kurz vor Weihnachten musste Philip auch noch ins Krankenhaus eingeliefert werden, und obwohl er rechtzeitig für die Feiertage entlassen wurde, scheint er gesundheitlich schwer angeschlagen.
Und Queen Elizabeth II.? Im Roman ist sie eine „Souveräne Leserin“, im echten Leben trotz aller Holprigkeiten eine souveräne Königin. Das wird sie mit eiserner Disziplin bis zum Ende bleiben – als Ausgleich könnte sie ja Jean Genet lesen.
Bernd Melichar