"Alles muss man selber machen“, sagte Carola Rackete, nachdem sie das Rettungsschiff „Sea-Watch 3“ mit Dutzenden Flüchtlingen an Bord, die sie vor der Küste Libyens von einem Schlauchboot aufgelesen hatte, im Juni dieses Jahres in den Hafen von Lampedusa gebracht hatte. Am Pier der italienischen Flüchtlingsinsel standen Menschen, die der Kapitänin mit den Dreadlocks zujubelten, und Menschen, die sie beschimpften. Tatsächlich hatte die 31-jährige Deutsche 17 Tage lang auf ein diplomatisches Ende ihrer Odyssee gewartet und sich dabei stets vorschriftsmäßig außerhalb italienischer Hoheitsgewässer bewegt.

Bis zuletzt war sie im Gespräch mit italienischen Behörden und deutschen Politikern geblieben und legte so nebenbei die ungelösten Probleme der EU-Migrationspolitik offen: Ein CDU-Bürgermeister wollte die Flüchtlinge mit einem Bus abholen und in seiner Stadt aufnehmen. Doch er scheiterte an der deutschen Regierung, die die Menschen nur einreisen lassen wollte, wenn diese zuvor in Italien registriert würden. Erst als eine diplomatische Lösung ausblieb, steuerte Rackete Lampedusa an und widersetzte sich der Anordnung des damaligen italienischen Innenministers Matteo Salvini. Die Kapitänin wurde festgenommen, kam aber bald wieder frei.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen gab Rackete damals Rückendeckung: „Wenn ich in Österreich an einem Binnensee ein Boot in Not sehe und nicht zu Hilfe eile, dann werde ich bestraft wegen unterlassener Hilfeleistung – aber ich werde nicht dafür bestraft, wenn ich diese Hilfe leiste.“ ÖVP-Chef Sebastian Kurz sah es anders. In einem Interview sagte er über Schiffsbetreiber wie „Sea Watch“: „Sie wecken damit nur falsche Hoffnungen und locken damit womöglich unabsichtlich noch mehr Menschen in Gefahr.“ Solange die Rettung im Mittelmeer mit einem Ticket nach Europa verbunden sei, würden sich immer mehr auf den Weg machen – und auch immer mehr ertrinken.

Fakt ist: Es gibt ein Seerechtsübereinkommen aus dem Jahr 1982. In dem steht, dass Kapitäne auf See verpflichtet sind, Schiffbrüchige zu retten. Es ist auch festgehalten, dass alle Staaten verpflichtet sind, einen Seenot-Rettungsdienst einzurichten. Seerechtsexperten raten Rettungsschiff-Kapitänen und -Kapitäninnen daher, sich der berühmten Luther-Worte zu bedienen, wenn es Probleme mit Institutionen gibt: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“

Doch die Kapitänin des deutschen Rettungsschiffs „Sea-Watch 3“ hat vor Lampedusa mehrere Fehler begangen. Sie hat ein gefährliches Anlegemanöver riskiert, bei dem italienische Beamte fast zerquetscht wurden, und gab dem damaligen Innenminister Matteo Salvini damit eine Steilvorlage. Und sie hat es auf Provokation und den Machtkampf NGO gegen Rechtsnationalisten, auf David gegen Goliath angelegt. Doch mit Schwarz-Weiß-Denken geht man bei den komplexen Themen Migration, Schlepper, Seenotretter fehl.

Rackete hat den Ruf, eine erfahrene Kapitänin zu sein, auch ihr Vater beschreibt sie als besonnene Frau, die „nicht versucht, in Sandalen den Nanga Parbat zu besteigen“. Wie Greta Thunberg gehört sie zu jener jungen Generation, die weiß, dass sie sich auf die Altvorderen nicht verlassen kann, wenn sie die Welt besser haben will. Rackete, die den Bachelorabschluss in Nautik und den Master in Naturschutzmanagement hat, ruft in ihrem Buch „Handeln statt hoffen“ zu mehr Ehrgeiz im Kampf gegen die Klimakatastrophe und zu zivilem Ungehorsam auf. Zuletzt engagierte sie sich in der Umweltschutzinitiative „Extinction Rebellion“, die für die einstige Ikone der deutschen Grünen, Jutta Ditfurth, allerdings „eine Weltuntergangssekte“ ist, die das Anliegen eines rationalen Widerstands gegen die Klimakatastrophe lächerlich mache und ihm sehr schade.

Racketes Antwort auf Vorwürfe aus sämtlichen Richtungen: „Wir sind die letzte Generation, die noch etwas tun kann. Für zukünftige Generationen wird es zu spät sein.“

Manuela Tschida-Swoboda