Luxuriöse Anwesen, pompöse Familienfeiern, schick gekleidete Männer in Schussposition: Es sind ganz bestimmte Bilder, die gemeinhin mit dem Mafia-Genre assoziiert werden. Trugbilder, hinter deren verführerischer Kraft sich für gewöhnlich ein Leben im Elend, in ständiger Ungewissheit verbirgt. Die unmittelbar Leidtragenden dieser Misere bleiben für gewöhnlich im Hintergrund. Zumeist sind es die weiblichen Angehörigen, ob nun Ehefrauen oder Töchter, deren Leben durch die Machenschaften der Patriarchen am meisten beeinträchtigt werden. All jene, die in dieses triste Dasein hineingeboren wurden und nie die Kontrolle über das eigene Schicksal behalten dürfen. Diesen Frauen gibt die exzellente Serienproduktion "The Good Mothers", auf der heurigen Berlinale nicht zu Unrecht mit dem neuartigen Serienpreis gekrönt, endlich ein Sprachrohr.
Der britisch-italienische Sechsteiler basiert auf dem gleichnamigen Roman von Alex Perry, der wiederum von wahren Begebenheiten inspiriert wurde. Im Mittelpunkt stehen drei Frauen, die den unterdrückenden Mechanismen und Strukturen der Mafia-Kultur zu entfliehen versuchen. Als die Mutter der Teenagerin Denise Cosco (Gaia Girace) trotz anhaltendem Zeugenschutz spurlos verschwindet, wird die Jugendliche dazu gezwungen, in den Haushalt des mächtigen Mafiosi-Papas (Francesco Colella) zurückzukehren. Zur selben Zeit hat die junge Mama Gisueppinna (Valentina Bellè) mit häuslicher Gewalt zu kämpfen, während ihre gute Freundin Concetta (Simona Distefano) sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert sieht. Das Bindeglied zwischen den Dreien ist die Anwältin Anna Colace (Barbara Chichiarelli), die mithilfe betroffener Frauen die in Kalabrien beheimatete Mafia-Organisation 'Ndrangheta zu Fall bringen möchte. Die Protagonistinnen setzen fortan ihr Leben aufs Spiel, um ihren Kindern und sich selbst eine Zukunft in Freiheit zu ermöglichen.
Oberflächlich betrachtet bedient sich das Fernsehdrama geläufiger Szenarien und Stilmittel bekannter Mafia-Filme- und -serien – mit dem simplen, aber essenziellen Unterschied, dass sich der vorherrschend männliche Blickwinkel verschoben hat. Und ebendieser Perspektivenwechsel gewinnt dem Genre neue, zu weiten Teilen gar anrührende Facetten ab. Toxisch maskuline Machtstrukturen, die sonst so oft durch plattitüdenhafte Gangster-Coolness überspielt werden, stellt das raffinierte Drehbuch des Briten Stephen Butchard ("The Last Kingdom") gekonnt bloß. Hinzu kommen stringent komponierte und ausdrucksstarke Bilder, die stets eine bedrückende Aura ausstrahlen. Ein herausforderndes Lehrstück über Machtmissbrauch, patriarchale Ordnungssysteme und den nie enden wollenden Kampf gegen diese. Zutiefst packend und zeitgeistig.
Bewertung: ★ ★ ★ ★ ☆ (4/5)
"The Good Mothers" ist auf Disney+ zu sehen.
Christian Pogatetz