Irgendwo passiert es gerade jetzt in dieser Sekunde auf irgendeinem Parkplatz: Kurz passt man beim Ausparken nicht auf und übersieht fast ein Auto. Beide steigen auf die Bremse, das Adrenalin fährt ein, einer hupt, einer gestikuliert – wohl eher unhöflich. Der Adrenalinpegel senkt sich, der Ärger klingt ab, beide fahren ihrer Wege. Das hätte bei Amy Lau (Ali Wong) und Danny Cho (Steven Yeun) theoretisch auch so sein können, aber der Funke, der sich hier entzündet, der trifft auf höchst brennbares Material. So explosiv, dass die beiden zehn Folgen lang versuchen werden, sich gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen.
Was sich nach völlig überzogenem Ausreizen emotionaler Eskalationsstufen anhört, ist raffinierter, als man denken könnte. Und das hat mit dem explosiven Gemisch zu tun, das sich hier zusammengebraut hat. Zwar kommen die beiden Kontrahenten aus ganz unterschiedlichen Milieus, aber bei beiden ist das emotionale Fass bereits so voll, dass es den einen Tropfen braucht, um überzulaufen. Der Fast-Unfall entpuppt sich als Sollbruchstelle.
Was die Serie auch zeigt, ist das, was die beiden an ihre Grenzen gebracht hat. Das permanente Funktionieren, das Zurückstecken, die Last der Verantwortung: Amy hat einen gut gehenden Blumenladen und steht vor der Übernahme durch eine große Kette. Das wäre jener erhoffte Gamechanger, um aus dem Schatten ihres Künstler-Ehemannes zu treten. Danny ist ein erfolgloser Handwerker, der seine Eltern in Korea finanziell unterstützen muss und am Existenzminimum dahin schrammt. Unter anderen Umständen hätten sich die beiden wohl gut verstanden, denn ihr innerer Hass auf eine Welt, in der sie funktionieren müssen, geht im Gleichschritt. Oder wie es Danny sagen würde: "Man soll sich heute alles mit einem Lächeln gefallen lassen. Ich hab keinen Bock mehr drauf."
Eine emotionale Berg- und Talfahrt
Die Serie könnte man als tiefschwarze Dramedy beschreiben, aber es ist viel mehr: Eine Milieustudie, aber auch eine Bestandsaufnahme emotionaler Berg- und Talfahrten, deren Vehikel gesellschaftliches Ansehen und der Druck zur Selbstverwirklichung sind. Dass es eine Serie mit Tiefgang ist, dafür garantiert das Gütesiegel, das an "Beef" klebt: A24, die New Yorker Produktions- und Verleihfirma, die 2012 von den Film- und Serienfans Daniel Katz,David Fenkel und John Hodges gegründet wurde. Mit "Everything Everywhere All at Once" und "The Whale" haben sie heuer die Oscars dominiert. Die Serien "Euphoria", "Irma Vep" und "Ramy" tragen ebenso ihre Handschrift, wie die Filmkapazunder "Ex Machina", "Moonlight", "Lady Bird" und "Minari".
Bewertung: ★ ★ ★ ★ ☆ (4/5)
„Beef“ ist auf Netflix zu sehen