Lena Dunham verfilmt ein Kinderbuch? Wer meint, das würde alles andere als zusammenpassen, der schaut wohl aus der Vogelperspektive auf die 36-Jährige hinab. Zugegeben, das ist für gewöhnlich der übliche Blick, den man auf die Schauspielerin, Regisseurin und Produzentin hat – ein Blick, der keine Nuancen, kein tiefergehendes Bild zulässt. Vielleicht auch, weil viele das so nicht wollen. Aber Lena Dunham und „Catherine Called Birdy“ (Amazon Prime), das ist seit vielen Jahren ein Herzensprojekt. Eines, das rührend ans Herz geht, ohne alles überlagernden Kitsch, der zu Tränen rührt und gleichzeitig sämtliche Problemfelder überflutet. Das alles ist „Catherine Called Birdy“ (Amazon Prime) nicht, ganz und gar nicht. Das Kinderbuch von Karen Cushman ist auf den ersten Blick sogar ziemlich schwerer Stoff: Es handelt von der zwölfjährigen Catherine, die Tochter eines Adeligen im Jahr 1290, der aus Geldgründen das tut, was nicht nur im Mittelalter üblich war: die Tochter zu verheiraten und die Mitgift zu kassieren.

Lena Dunham am Set mit Bella Ramsey und Isis Hainsworth
Lena Dunham am Set mit Bella Ramsey und Isis Hainsworth © (c) IMAGO/ZUMA Press (IMAGO/Working Title Films)

Das klingt nach einem kaltherzigen Altvorderen, nach dunkel düsterem Mittelalter, aber weit gefehlt. Lena Dunham setzt einer brillanten Hauptdarstellerin Bella Ramsey den nicht minder fabelhaften Andrew Scott als Vater gegenüber, der mit dem Kopf in den Wolken steckt und sich zur Strenge der eigenen Tochter gegenüber zwingen muss. Und schon wieder weit gefehlt, der nun an ein Drama denkt. Dunham gelingt eine sehenswerte Balance zwischen der Leichtigkeit einer Kindheit und den Zwängen, die die Gesellschaft einem Mädchen überstülpt. Einschneidendes Erlebnis ist hier unbestritten ihre Periode, die sie demnach über Nacht theoretisch zur Frau macht. An einem Tag ein Kind, am nächsten Tag bereit zum Heiraten. Aber es ist kein kindlicher Trotz, der Birdy zur Gegenwehr zwingt, sondern ihr Recht auf Selbstbestimmung, das ihr traditionell verwehrt wird. Hinzu kommen allerlei Irrungen und Wirrungen pubertärer Gefühle, die die willensstarke Birdy zu diversen Erkenntnissen kommen lässt, darunter, dass diese Form des Revoluzzertums ihr wohl für ewig bleiben wird. Rebellin von Natur aus eben.

Doch der Film ist nicht nur ein Lehrstück der Selbstermächtigung, sondern vor allem auch einer über die Liebe und ihre Vielschichtigkeiten. Das alles wird verdichtet durch ein latent amüsantes Drehbuch, das den einzelnen Figuren Raum zur individuellen Entfaltung lässt. Allen voran ist es Bella Ramsey, die der Figur der Birdy jene Ecken und Kanten verleiht, die bei aller Gewitztheit, der Thematik die nötige Schärfe verleiht. Und sie auf eine zeitlose Ebene hebt, denn ob Mittelalter oder nicht, die Frau als Ware, als Tauschwährung war und ist in manchen Orten der Welt noch immer Alltag. So gesehen, hat Lena Dunham also das gemacht, was sie dankenswerterweise immer macht: Den Fokus darauf zu richten, wo die weiblichen Agenden verhandelt werden, und das nicht immer zwingend mit dem Zutun der Betroffenen. Das weiß niemand besser, als sie selbst: Fünf Jahre lang hat sie sich zuletzt aus dem Rampenlicht zurückgezogen und damit selbst aus dem Schussfeld genommen.

Lena Dunham
Lena Dunham © (c) Chris Pizzello/Invision/AP (Chris Pizzello)

Ihr riesiger Erfolg mit der von ihr geschriebenen Millennial-Serie „Girls“ (2012–2017) über die angehende Autorin Hannah Horvath, von Dunham selbst gespielt, und ihren Freundinnen in New York hatte Folgen, auch für sie selbst. Vom Gegenentwurf zu „Sex And The City“, der mit radikaler Offenheit der Charaktere punkten konnte – vom Körperbild bis zum Sex und vom Scheitern eigener Träume und Beziehungen – blieb in der öffentlichen Wahrnehmung oft nicht mehr übrig als ein Körper, der Körper von Lena Dunham.
„Kugelbauch, Hasenzähne, X-Beine – irgendwas war immer falsch, und es verfolgte mich überallhin“, schrieb sie in einem Instagram-Post über ihren Körper, der in den Augen anderer nie zufriedenstellend war. Nicht nur einmal wurden Bilder von ihr auf Magazincovern retuschiert. Das ewige Spiel der Unzulänglichkeit hat an ihr genagt, auch wenn sie es in der Öffentlichkeit gut überspielen konnte. Pillen gegen Angststörungen und permanente Schmerzen durch ihre chronische Unterleibserkrankung Endometriose zwangen sie zum Rückzug. Nun ist sie wieder da und gibt mit „Catherine Called Birdy“ ein kräftiges Lebenszeichen von sich, ein sehr kräftiges.

Bewertung: ★ ★ ★ ★ ☆ (4/5)

„Catherine Called Birdy“ ist auf Amazon Prime zu sehen.