Damiano David (22, Gesang), Victoria De Angelis (21, Bass), Thomas Raggi (20, Gitarre) und Ethan Torchio (20, Schlagzeug) sitzen zusammengepfercht auf einem Sofa in ihrem Proberaum. Victoria und Damiano übernehmen die Wortführerschaft und das mit einer ordentlichen Portion an Passion. Ein Zoom-Besuch in Rom.
Im Jahr 2017 habt ihr bei „X Factor“ mitgemacht. Dieses Jahr das Festival in Sanremo gewonnen und seid als Favoriten beim Song Contest angetreten. Ein klarer Karriereplan oder glückliche Zufälle?
Damiano: Absolut sowohl als auch. Der ESC ist unser Sprungbrett in die Welt gewesen. Dass wir gewonnen haben, war jetzt vielleicht wegen der Wettquoten nicht die Megasensation schlechthin, aber als auf einmal die Punkte des Publikums kamen, hat uns das voll weggeblasen und erdrückt vor Glück. Bis zum Schluss hatten wir das Abstimmungssystem nicht ganz geschnallt und dachten nach den Juryabstimmungen, dass wir zwar auf einen guten Platz kommen, aber ganz bestimmt nicht mehr gewinnen würden.
Was hat Europa in euch gesehen?
Victoria: Unser Auftritt war anders. Roh. Erfrischend. Wir hatten keine Tänzer und sonstige Attraktionen auf der Bühne, sondern nur uns. Wir haben den Leuten den Rock’n’Roll gegeben, den sie so vermissen im Moment. Die Live-Energie ist durch nichts zu ersetzen und einfach das Geilste, was es gibt. Auf der Bühne lassen wir uns gehen und haben ohne Ende Spaß dabei.
Italien gilt als das Land mit der Dauerkrise. Junge Leute finden keine Jobs, schon gar keine gut bezahlten, viele leben mit 30 noch bei den Eltern. Und dann auch noch das Virus. Wollt ihr dagegenhalten und positiv inspirieren?
Victoria: Ja, der Jugend ein bisschen mehr Hoffnung zu machen, ist wichtig, aber nicht leicht. Mit unserer Musik können wir nicht alles verändern. Wir können den Menschen jedoch dabei helfen, sich weniger unverstanden und allein zu fühlen. Wir sind eine Aufmunterung in einer Gesellschaft, die jede Aufmunterung nötig hat.
Damiano: Wir wollen die Kids nicht erziehen, aber wir können sie unterstützen.
Nicht nur eure Songs rufen die 70er-Jahre in Erinnerung, auch euer Style. Jemand wie David Bowie spielte schon mit Genderstereotypen, als es dafür noch gar keinen Namen gab. Seht ihr euch in dieser Tradition?
Damiano: Ja! Wir lieben den androgynen Stil, und wir halten es für wichtig, einen Teil zur gesellschaftlichen Entwicklung beizutragen. Wir kleiden und geben uns nicht so, um Aufmerksamkeit zu erzeugen oder zu provozieren, sondern weil wir das Spiel mit den vermeintlichen Geschlechternormen lieben. Warum denn sollen Jungs kein Make-up und keine Kleider tragen?
Victoria: Wir wollen alle Konzepte umstoßen, die dich zu irgendetwas zwingen. Viele leiden darunter. Wir fordern, dass alle Menschen die Freiheit haben, genau so sein zu dürfen, wie sie sind.
Aus Italien kennt man bei uns eher Balladenmeister wie Eros Ramazzotti oder Zucchero. Im Rockbereich allenfalls noch Gianna Nannini. Wollt ihr der Welt ein neues Italien präsentieren?
Damiano: Die Vorurteile sind hartnäckig, aber wir kriegen sie schon klein. Auch bei uns in der Heimat mussten wir erst Überzeugungsarbeit leisten. Wir mussten uns anhören, dass man in Italien einfach keinen Rock’n’Roll hören will, dass wir kein Publikum finden, keine Platten verkaufen, dass es einfach nichts wird mit uns. Ich denke, wir haben den Zweiflern gezeigt, dass sie keine Ahnung hatten.
Eure ersten Konzerte habt ihr in den Straßen Roms gespielt.
Victoria: Exakt. Wir kamen mit dem Bus, hatten unsere Instrumente dabei und legten los. Wir sahen aus wie Freaks, glückliche Freaks. Manche Leute fanden uns unerträglich und holten die Polizei, aber die meisten liebten uns.
Eure Songs auf dem Album „Teatro d’Ira Vol. I“ sind ganz schön unterschiedlich. Es gibt Rockballaden wie von Aerosmith, aber auch harte Nummern, die an Rage Against The Machine und Soundgarden erinnern.
Victoria: Rock’n’Roll hat so viele verschiedene Farben und Schattierungen. Sie alle und auch unsere ganzen, teils widersprüchlichen, teils verwirrenden Gefühle wollen wir in unserer Musik ausdrücken. Deshalb kommen so viele ganz unterschiedliche Songs dabei raus.
Steffen Rüth