Auf die Foo Fighters, immerhin auch schon seit 1994 aktiv, ist Verlass. Auch auf ihrem zehnten Album „Medicine At Midnight“ versorgt uns die Band um Frontmann Dave Grohl wieder mit erbaulich-melodischen Rockhymnen nebst ein, zwei lauten und ein, zwei leisen Nummern – so wie mit einer ungewohnt großen Portion rhythmischer Wucht. Wir sprachen mit Dave Grohl (52) im Videointerview aber nicht nur über die neuen Songs, sondern auch über das Alter, die Jugend und die morgendlichen Tänzchen in der Küche.

Auch euch lässt die Pandemie nicht ungeschoren. Das Album ist seit letztem Frühjahr fertig. Corona hat einen fetten Strich durch eure großen Tourneepläne gemacht.
Dave Grohl: Leicht ist es nicht. Wir hatten uns bestimmt ein halbes Jahr lang überhaupt nicht gesehen und waren überglücklich, als wir endlich wieder im selben Raum zum Proben zusammenkamen. Mir fehlt auch wirklich das Fitnessprogramm, das eine Tour mir bietet. Im Konzert tobe ich drei Stunden jeden Abend über die Bühne. Ich bin nie der Typ gewesen, der Hanteln stemmt. Körperlich und mental ist die Zeit für uns alle hart.

„Medicine at Midnight“ ist ein verblüffendes Album geworden. Welcher Zauber steckt denn hinter der Absicht, eine so rhythmische und tanzbare Rockplatte aufzunehmen?
Dave Grohl: Wir wussten: Das ist unser zehntes Album, und wir werden 25. Uns war also klar, dass wir irgendetwas Außergewöhnliches machen mussten und wollten. Da haben wir natürlich allerlei Optionen. Wir hätten eine total durchgeknallte Rockplatte machen können, simplen, lauten Punkrock oder ein sympathisch verschlafenes Akustikalbum. Aber irgendwie hat uns das alles nicht so begeistert. Schließlich schoss mir der Gedanke in den Kopf, dass wir noch nie ein Dance-Album gemacht haben.



Der Gedanke an Disco-Dave drängt sich nicht unbedingt auf.
Dave Grohl: Wenn du aber erst mal angefangen hast, in diese Richtung zu überlegen, gibt es plötzlich gar keine andere Möglichkeit mehr. Natürlich sollte es kein am Computer abgezirkeltes Techno-Electro-Album werden, wir sind ja immer noch eine Rockband. Aber auch Rockbands können Party-Platten machen. Ich denke an Kiss, an AC/DC, an David Bowie oder an Power Station. Ich liebe diese Disco-Sounds schon mein ganzes Leben. Spätestens seit mich meine Mutter von der Schule abholte und im Autoradio „I Will Survive“ von Gloria Gaynor lief.

Hat sich die Arbeit im Studio deutlich von der bei anderen Aufnahmen unterschieden?
Dave Grohl: Ja, hat sie. Auf diesem Album, auf dem wir wie schon bei dem Vorgänger „Concrete And Gold“ mit dem Produzenten Greg Kurstin gearbeitet haben, war es so, dass ich die grundlegenden Demos praktisch zunächst mal alleine gemacht habe. Also, ohne wie sonst üblich die Songs mit der Band zu proben. Als wir mit den Aufnahmen begannen, wussten wir praktisch noch überhaupt nicht, wie das Ergebnis klingen würde. Das war richtig spannend für uns.

Trotz der rhythmischen Grundausrichtung in Songs wie „Shame Shame“ oder dem Titelstück gibt es wieder ordentlich Abwechslung. Auf dem harten „No Son Of Mine“ schreist du förmlich, „Chasing Birds“ hat was von den Beatles, und „Love Dies Young“ ist eine mächtige Rockhymne.
Dave Grohl: Na klar, ein Album soll ja nicht eintönig sein, sondern Hügel und Täler haben, ganz ähnlich wie auch eine Live-Show. Diese Dynamik war ja von Anfang an typisch für uns. Bei „Love Dies Young“ muss ich übrigens an Abba denken. Ich liebe Abba. Noch so eine Lieblingsbands meiner Mum, mit deren Musik ich großgeworden bin.

Worum geht es in „Waiting On A War“, dem wohl eindringlichsten Stück des Albums?
Dave Grohl: Ich bin Jahrgang 1969. Als Teenager, der unweit von Washington D.C. aufgewachsen ist, hatte ich Angst vor dem Krieg. Ständig gab es irgendwo auf der Welt einen bewaffneten Konflikt. Ich stellte mir vor, wie die Bomben mir direkt auf den Kopf fallen würden. Ich träumte von Raketen. Und dann kommt meine elf Jahre alte Tochter Harper zu mir, weil sie im Fernsehen einen Beitrag über die Auseinandersetzung zwischen Nordkorea und den USA gesehen hat, und fragt mich: „Papa, gibt es Krieg?“ Ich habe sie natürlich beruhigt, aber allein die Tatsache, dass wir 30, 40 Jahre später kein bisschen weiter sind, hat mich deprimiert.



Mittlerweile wird die Rockmusik von richtig alten Männern dominiert. Für eine Stadionrockband seid ihr fast noch Jungspunde.
Dave Grohl: Okay, da ist was dran. Aber solange Bands wie die Rolling Stones oder AC/DC noch so gut sind, warum sollten sie da aufhören? Wir als Foo Fighters haben die Angewohnheit zu denken, dass jedes Album unser letztes sein könnte. Auch deshalb wollen wir immer etwas Besonderes machen, die Leute überraschen. Wir könnten die Band sein, die langsam und gemütlich in den Sonnenuntergang ihrer Karriere reitet. Oder wir haben die Lust, trotz immer grauer werdender Bärte, Neuland zu betreten und zu experimentieren. 

Nerven dich die grauen Barthaare?
Dave Grohl: Nein, ich liebe die. Ich bin stolz auf jedes einzelne, hart erworbene graue Haar. Älterwerden ist sowieso cool, finde ich. Menschen, die dazu stehen, nicht perfekt zu sein, haben mehr Würde. Ich werde irgendwann mal wie ein verrückter Alchemist aussehen. Und ich freue mich darauf.

Fühlt es sich doof an, ein tanzbares Rockalbum gemacht zu haben und nun in kaum einem Klub der Welt dazu tanzen zu können?
Dave Grohl: Als wir mit diesen Songs im Studio waren, lange vor der Pandemie, noch länger vor irgendeinem Shutdown, dachte ich ständig: „Dieses Album ist perfekt für eine Arena, perfekt für ein Stadion, perfekt für ein Festival.“ Jetzt fällt das alles flach, nur das Album ist immer noch da. Also bleiben wir flexibel, springen wir aus dem Bett, sammeln wir unsere Energie, kochen wir uns einen Kaffee – und tanzen zu den Songs in unseren verdammten Küchen, bis unsere Socken qualmen.

Bist du gerade in Los Angeles?
Dave Grohl: Wir haben die Stadt verlassen. Meine Frau, unsere drei Töchter und ich, sind aktuell in Utah, weil hier die Luft einfach gesünder ist und wir draußen sein können. Wir unternehmen fast jeden Nachmittag irgendetwas in den Bergen. Meine Töchter machen morgens ihre Sachen für die Schule, und danach steigen wir aufs Rad oder gehen spazieren oder laufen. Gerade jetzt, wo wir nicht touren können, bin ich unheimlich froh, dass ich immer eine ordentliche Balance gehalten habe zwischen meinem Leben mit den Foo Fighters und meinem Leben ohne die Foo Fighters. Ich liebe die Foo Fighters, diese Männer sind ebenfalls wie eine Familie für mich, aber ich habe mich nie von meiner Arbeit auffressen lassen. Die Zeit mit Jordyn, meiner Frau, und den Kindern war mir immer genauso heilig. Ich liebe es, für alle zu kochen, und ich mag meine Kids. Ich bin richtig mit denen befreundet (lacht).

Die Foo Fighters bei einem Konzert 2019 in San Diego
Die Foo Fighters bei einem Konzert 2019 in San Diego © (c) imago images/ZUMA Wire (KC Alfred via www.imago-images.de)

Violet ist 14, Harper 11 und Ophelia 6. Interessieren sich deine Mädchen für Musik?
Dave Grohl: Die Kleine malt lieber. Harper begeistert sich mehr für Visuelles, für Fotografie und Film. Aber Violet ist gerade voll in ihrer David-Bowie-Phase. Sie taucht da richtig tief ein, viel detailversessener und akribischer als ich es je tat. Wenn eine meiner Töchter Musikerin wird, dann ist das Violet. Sie hat eine unglaubliche Stimme und kann mehrere Instrumente spielen.

Du warst 22, als du bei Nirvana eingestiegen bist und 26, als Kurt Cobain starb. Machen Menschen die beste Musik, so lange sie jung sind?
Dave Grohl: Die Energie ist eine andere. Die Jugend ist eine Phase voller Reibung und Konflikt, aber sie steckt auch voller Entdeckungen, Möglichkeiten und Abenteuer. Sie ist eine Zeit der Unermüdlichkeit. Wenn du an Rock’n’Roll denkst, dann kommt dir ja nicht als erstes eine Gruppe von mittelalten Männern in den Sinn. Sondern ein Haufen wilder Zwanzigjähriger.

Dave, ihr habt bei der TV-Party nach der Amtseinführung von Joe Biden euren Klassiker „Times Like These“ gespielt. Wird mit dem neuen US-Präsidenten jetzt alles besser?
Dave Grohl: Das hängt von uns allen ab. Das Wichtigste, was wir in der momentanen Situation brauchen, ist Nächstenliebe. Wir müssen wieder lernen, aufeinander zuzugehen. Ein grundlegendes Verständnis für die Belange und Bedürfnisse des anderen muss in allen Teilen der Gesellschaft neu entfacht werden.  

Sind unter Donald Trump die Grundlagen des zivilen Miteinanders verloren gegangen?
Grohl: Rücksicht und Mitgefühl sind in der jüngeren Vergangenheit schon sehr auf der Strecke geblieben, aber ohne geht es nicht. Das wird jetzt in der Pandemie besonders deutlich. Um so gesund und sicher wie möglich durch diese Zeit zu steuern, müssen wir aufeinander Acht geben. Und zusammenhalten. Es hilft meiner Meinung nach nicht, jetzt permanent auf die Rückkehr der sogenannten Normalität zu hoffen. Wir sollten uns lieber anpassen und dabei neue Wege finden, das Leben lebenswert und schön zu machen.