Ja, die Welt wankt. Aber dieser „Wir sind gute Menschen“-Zinnober ist dann doch etwas zu viel. Bereits zwei Stunden vor Konzertbeginn müssen 200 Freiwillige – die sich offenbar schnell gefunden haben – eine Tanzparty veranstalten. Und weil es sich um ein Coldplay-Konzert handelt, ist es natürlich eine „kinetische Tanzparty“. Will heißen, durch das begeisterte Hopsen wird Energie erzeugt, und dann schnellen die „Joules“ gleich so nach oben. 4000, 7000, 12.000. Tanzfläche links konkurriert mit Tanzfläche rechts, wer wird Wiener Joules-Weltmeister? Auf den Video-Leinwänden tauchen dann noch zahlreiche Botschaften und Anweisungen auf. Die 3D-Brille darf man erst aufsetzen, wenn „Angel Moon“ – wer auch immer das genau ist – es sagt; das Armband, das später bei jedem Song in einer anderen Farbe blinken wird, bitte nach der Show abzugeben – es wird natürlich recycelt. Recycle-Rate Kopenhagen: 96 Prozent, Helsinki: 97 Prozent, bei Wien steht noch ein Fragezeichen. Dann gibt es noch ausführliche Videos über Artenschutz, Bodensanierung, grüne Technologie, Reinigung der Meere, und als Coldplay dann endlich um 21 Uhr die gigantische Bühne betreten, ist man ziemlich froh, dass es endlich losgeht mit der Musik.

Die Leuchtarmbänder verwandelten das Happel-Stadion in ein Lichtermeer
Die Leuchtarmbänder verwandelten das Happel-Stadion in ein Lichtermeer © APA / Tobias Steinmaurer

Mit „Higher Power“ startet die Über-Gruppe, die einmal als kleine Indieband „Parachutes“ in die Welt hinausgeschickt hat, in diesen Abend, der erwartungsgemäß sehr groß, sehr bunt und sehr emotional verlief. Frontmann Chris Martin tänzelt zunächst auf der kleinen Bühne, die mitten im Stadion platziert ist, in das „Music of the Spheres“-Set. Sofort erleuchtet das Armband-Lichtermeer das Stadion und ein Konfettiregen geht auf das meteorologisch regenfreie Wien nieder. Die Farbenpracht ist berauschend, die Augen schlackern ständig mit den Ohren. Der Sound im Stadion ist hingegen unterirdisch wie immer, aber Chris Martin ist von Beginn an ein sympathischer, charismatischer Frontmann, der auf dem Laufsteg wahre Marathonleistungen hinlegt und in seiner Sanftheit das enthusiastische Publikum fest im Griff hat. Was man bei dieser Fokussierung auf ihn oft vergisst: Er hat eine äußerst knackige, kompakte, zwischendurch wunderbar harsche Band hinter sich, die ihm den Rücken freispielt.

Feuerfontänen und Luftballons

Eins, zwei, drei, vier. Atempausen in dieser üppigen Disneyland-Inszenierung gibt es kaum. Die Feuerfontänen spucken, die Luftballons schweben, die Emotionen schlagen Purzelbäume. Die Ansagen von Martin sind im niedlich gebrochenen Deutsch gehalten: „Wir sind glücklich, hier zu sein. Es ist unglaublich schön, mit euch zusammen zu sein.“ So pickig das klingen mag, es kommt erstaunlicherweise nicht so über die Rampe. Vielleicht ist das das große Erfolgsgeheimnis dieser Band: Aus all dem Pathos, der Korrektheit und der Too-Much-Attitüde wird dem Quartett kein Strick gedreht. Und dieses universelle Glücksgefühl, das Coldplay seinem Publikum beschert, hochnäsig als popkulturellen Unglücksfall zu bezeichnen, wäre wohl unangebrachter Zynismus.

Coldplay-Fans vor dem Wien-Konzert

Zumal Coldplay im Kern noch immer eine ziemlich großartige Popband ist. Diese musikalische Größe kommt immer dann zum Vorschein, wenn das Brimborium klein gehalten wird. Chris Martin bei „The Scientist“ am Klavier hat große Klasse, „Yellow“ ist ein wonnig prickelnder Gänsehaut-L‘Amourhatscher, und selbst das hymnische „Viva La Vida“ kann man als ultimative Endorphin-Ode durchgehen lassen. Man glaubt es kaum: Wenn sich diese Band selbst von der Leine lässt, kann das durchaus richtig krachen.

Farbenfroher Pop-Abend mit Coldplay
Farbenfroher Pop-Abend mit Coldplay © APA / Tobias Steinmaurer

Vor dem Konzert machten Gerüchte die Runde, dass Taylor Swift – deren Wien-Konzerte bekanntlich wegen Terroralarms abgesagt werden mussten – als Gaststar bei einem der Coldplay-Konzerte im Happel-Stadion auftauchen würde. Das hat sich als Mumpitz herausgestellt, aber der Star aller Stars war am Mittwoch doch gegenwärtig in Wien. Zuerst hat Chris Martin die Absage, die um die Welt ging, bedauert und auch den „Menschen, die mit verrückten Ideen gehirngewaschen“ sind – also den mutmaßlichen Terroristen – seine Liebe geschickt. Dann holte er „Swifties“ auf die Bühne und stimmte gemeinsam mit ihnen den Swift-Song „Love Story“ an. Das klang zwar nicht astrein, Martin verhaspelte sich etwas, aber gerade diese spontane Brüchigkeit machte daraus einen perfekten Moment.

Die „Music of the Spheres“-Bühne
Die „Music of the Spheres“-Bühne © APA / Tobias Steinmaurer

Mehr als 20 Songs hatten Coldplay an diesem Abend im Gepäck, das Set war in vier dramaturgisch ausgeklügelte „Acts“ untergliedert. Mit „Sparks“ und „Fix You“ ging es in den Zugabenblock. Und noch einmal verwandelten die Leuchtarmbänder das Stadion in ein Lichtermeer, noch einmal schwebten mindestens 99 Luftballons durch das Stadion, und immer wieder im Laufe des Abends hat sich Chris Martin vor seinem Publikum niedergekniet. Das Niederknien beruhte ganz auf Gegenseitigkeit. Offen ist jetzt nur noch, auf welche Recycling-Rückgaberate bei den Leuchtarmbändern es Wien bringt.