Ihr eigener Nobelpreis war es nicht, aber trotzdem bekam Patti Smith bei der Verleihung in Stockholm die große Bühne. Ihr alter Freund Bob Dylan hatte "andere Verpflichtungen", also sang Smith an seiner Stelle seinen Klassiker "A Hard Rain's A-Gonna Fall" - hochnervös, aber wie stets gefeiert.
Dass sie beim Vortrag ins Stocken geriet, erklärte sie später damit, sie sei so unglaublich aufgeregt gewesen: "Wie in einem Märchen stand ich vor dem
schwedischen König, der Königin und einigen der großen Köpfe der Welt." Da habe sie die Worte ihres Lieblingssongs "einfach nicht herausbekommen".
Smith scheint dieser Tage präsenter denn je. Heute am 30. Dezember wird sie 70 Jahre alt. "Ich habe viel Energie und arbeite gerne", sagte Smith jüngst der "New York Times". "Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und arbeite, seit ich 13 bin, Babysitting, Blaubeeren pflücken, Fabrikarbeit bis hin zur Arbeit im Buchladen." An Ruhestand denke sie nicht, sagte sie dem britischen "Guardian". "So arbeite ich einfach nicht, es ist mir unmöglich, mich runterzufahren."
Smiths Weggefährten und große Lieben von einst sind tot: Der Fotokünstler Robert Mapplethorpe, an dessen Seite sie berühmt wurde und der 1989 an Aids starb, und der Musiker Fred Smith, mit dem sie in Detroit eine Familie mit zwei Kindern gründete und der 1994 mit nur 45 Jahren an Herzversagen starb. Aber Smith arbeitete sich durch die Trauer zurück, steht wieder auf den Bühnen der Welt, ist Stammgast bei der Wiener Viennale und hat jüngst sogar zwei gefeierte Bücher herausgebracht: "Just Kids" und "M Train".
"Was mich an Patti Smith umhaut, ist, dass sie immer weiter wächst, sich verändert, immer interessanter wird und neue Fähigkeiten erlernt", sagte "New Yorker"-Chefredakteur David Remnick jüngst. Die Bücher hätten die Sicht der Welt auf Smith verändert, sagt auch Verlagsmanagerin Ira Silverberg. "Sie hat jetzt den Status einer Kulturikone, wohingegen sie vorher mehr eine Art Kultfigur war."
Geboren wurde Smith 1946 in Chicago und wuchs dann in New Jersey auf. Die Familie hatte nicht viel Geld, aber Smiths Eltern versorgten die Kinder trotzdem mit Zugang zu Büchern und Musik. Mit knapp über 20 wird Smith schwanger, gibt das Kind aber zur Adoption frei. Sie zieht nach New York und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch, bis sie ihre erste große Liebe kennenlernt: Robert Mapplethorpe.
Noch heute werden die Namen der beiden meist im selben Atemzug ausgesprochen. Kennengelernt habe sie ihn per Zufall, als sie eigentlich auf der Suche nach Freunden an einer Wohnung klopfte, erinnert sich Smith. "Ich bin in einen Raum gegangen und da schlief ein Junge, auf einem kleinen Eisenbett, mit einer Masse dunkler Locken. Als ich reinkam, wachte er auf und lächelte mich an." Die beiden werden ein Paar, bis Mapplethorpe klar wird, dass er schwul ist.
Unzertrennlich bleiben die beiden trotzdem. Smith versucht mit allen Mitteln, ihre Karriere als Künstlerin voranzutreiben, schreibt täglich und gibt Lesungen. "Das ist ein Mysterium, das ich nie lösen konnte. Was zieht mich immer auf die Bühne, wo ich doch kaum eine Dinnerparty durchstehe?" Eher zufällig kommt Musik zu den Auftritten dazu, und 1975 schafft Smith mit dem Album "Horses" den Durchbruch - auch wegen des heute weltberühmten Titelfotos, das der inzwischen anerkannte Fotokünstler Mapplethorpe von ihr macht.
Ihre Auftritte sind legendär energetisch, und Smith wird bald als "Godmother of Punk" bekannt. Dabei hat sich die Rockikone, die noch ein paar weitere Alben herausbringt, selber nie als Musikerin gesehen. "Die Menschen schätzen mich falsch ein", sagt Smith. "Ich weiß, wie es sich anfühlt, ein Rock'n'Roll-Star zu sein, mit Limousine und schreienden Mädels, Mädels, die meine Haare abschneiden wollen. Aber ich laufe nicht herum und sehe mich als Rock'n'Roll-Star, und sicher auch nicht als Musiker, denn ich kann gar nichts spielen, nur anfängerhaft. Ich singe, aber das macht fast jeder. Ich bin Performer und wenn ich nicht auftrete, dann bin ich Mutter, ich habe eine Katze, ich bin Einzelgänger, ich schreibe jeden Tag. Ich sehe mich als Schreiberin."
Sie sei realistisch mit sich selbst, sagt Smith. "Ich weiß, dass ich nicht singen kann wie Amy Winehouse oder Rihanna. Und ich kann mich auch nicht auf Schönheit oder anderen Dingen ausruhen, die man hat, wenn man jung ist. Aber worauf ich mich verlassen kann, ist, dass wenn ich auf die Bühne gehe, ich nur aus einem Grund da bin - um mit den Menschen eine Verbindung aufzubauen. Ich habe keine Wünsche für mich, meine Karriere ist mir egal. Ich habe schon einen Platz im Leben und einen guten Namen - es gibt nichts, was ich will, außer mit den Menschen da draußen zusammen etwas zu erleben."