Jose Carreras ist einer der berühmtesten Operntenöre der Welt, und er bereitet sich langsam aber sicher auf seinen Abschied vor der Bühne vor. "Es wird eine lange Tournee", sagte er im Interview der dpa in München kurz vor seinem 70. Geburtstag: "Ich habe keine Deadline."

Warum wollen Sie überhaupt aufhören zu singen?

Carreras: Das will ich ja gar nicht. Ich habe gesagt, ich gebe mir zwei, drei Jahre, um das zu beenden, was ich 1970 angefangen habe. Früher oder später haben auch die wunderbarsten Dinge im Leben ein Ende, und mein Berufsleben muss einfach irgendwann enden. Ich versuche, dieses Ende so zu erreichen, dass es kein allzu großer Schock für mich ist. Langsam, langsam. Unter der Dusche werde ich auf jeden Fall weitersingen. Das ist sicher.

Ist es heute schwieriger für Sie, vor einem großen Publikum auf der Bühne zu stehen? Oder macht es immer noch genau so viel Spaß wie zu Anfang Ihrer Karriere?

Carreras: Wenn ich heute auf der Bühne stehe, genieße ich es noch mehr, was ich vom Publikum bekomme. Es ist ja immer ein Tag weniger, den ich die Möglichkeit habe, auf die Bühne zu gehen. Ich weiß das sehr wertzuschätzen.

Was ist der wichtigste oder ganz besondere Auftritt Ihrer Karriere?

Carreras: Es ist sehr schwer, da nur einen rauszupicken. Aus rein professioneller Sicht gibt es viele, die ich da erwähnen könnte. Aber von meinem persönlichen Gefühl her war es das Konzert, das ich ein Jahr nach meiner Krankheit in meiner Heimatstadt Barcelona gegeben habe. Dort vor den Menschen aus meiner Stadt zu stehen und singen zu können, war ein sehr emotionaler Moment für mich.

Und gibt es auch Konzerte, die Sie am liebsten vergessen würden?

Carreras: Ja, aber das erzähle ich Ihnen nicht.

Wenn Sie für Ihre Leukämie-Stiftung arbeiten, ist Ihnen die Zeit Ihrer eigenen Erkrankung dann noch präsent?

Carreras: Sie ist insofern präsent, als ich weiß, wie es ist. Darum ist es ja so wichtig, dass wir den Patienten helfen. Es ist mir sehr präsent, dass ich fast elf Monate im Krankenhaus war. Andererseits betrachte ich diese Krankheit aber nicht mehr als etwas Negatives. Sie ist Teil meiner Geschichte, und zum Glück fühle ich mich gut und führe ein komplett normales Leben. Ich habe keine Angst mehr vor der Krankheit.

Wie hat die Krankheit Ihre Karriere beeinflusst? Sind Sie wegen der Leukämie ein anderer Künstler geworden?

Carreras: Ich denke, ein Mensch, der in seinem Leben solch harte Momente hat, wird reifer und hat wahrscheinlich andere Ansichten und Prioritäten. Und wenn der Mensch sich ändert, muss sich auch der Künstler ändern. Mensch und Künstler gehen nebeneinander her. Ich interpretiere die Musik und die Texte, die ich singe, heute wahrscheinlich anders, wahrscheinlich etwas tief greifender.

Gibt es etwas, das Sie Nachwuchstenören raten würden, die eine Karriere wie die Ihre anstreben?

Carreras: Wenn ein junger Student ein gewisses Talent hat, ist das wichtigste: Disziplin! Disziplin ist grundlegend, und das muss man sich bewusst machen, wenn man Opernsänger werden will. Dieser Job hat wundervolle Seiten, aber er erfordert strikte Disziplin.

Sie feiern am 5. Dezember Ihren 70. Geburtstag...

Carreras: Ich fühle mich immer noch wie 69. Es ist wundervoll, dass ich in diesem Alter noch arbeiten und meine Gefühle durch die Musik transportieren kann.

Wie werden Sie denn feiern?

Carreras: Ich werde für einen Auftritt in Tokio sein, und meine ganze Familie, meine Kinder und Enkel, werden kommen. Wir werden bestimmt eine wundervolle Zeit haben.

Wie verbringen Sie Weihnachten?

Carreras: Weihnachten ist eine besondere Zeit für mich und eine, in der ich sehr viel esse. Für Kinder ist Weihnachten großartig, aber für Erwachsene kann es manchmal ein Problem darstellen, weil Familien heutzutage nicht mehr so vereint sind wie früher. Das kann manchmal Probleme verursachen. Ich werde Weihnachten und Neujahr in China sein. Das ist für mich die beste Zeit, die Feiertage zu verbringen - mit Arbeit.

Was machen Sie denn, wenn Sie nicht mehr so viel arbeiten?

Carreras: Ich werde versuchen, Dinge zu tun, die ich wegen meines Berufes jahrelang nicht machen konnte: kleine Urlaube mit den richtigen Leuten, mit Freunden. Karten spielen mit alten Klassenkameraden. Ich treffe mich immer noch - seit 60 Jahren - einmal im Monat mit meinen Schulfreunden in Barcelona, immer am gleichen Ort. Wir sind rund ein Dutzend, obwohl wir inzwischen leider auch schon ein, zwei Freunde verloren haben. Diese Beziehungen sind sehr authentisch und echt. Sie interessieren sich nicht für das, was ich tue, und sie alle - hoffentlich ich auch - sind immer noch genau so wie früher. Einige hatten ein wunderbares, erfolgreiches Leben, andere nicht. Aber wir sind alle dieselben geblieben und die Freundschaften auch. Das ist eines der wundervollsten Dinge in meinem Leben.

Interview: Britta Schultejans/dpa