Vor sechs Jahren tat Marc Minkowski, was lange keiner vor ihm getan hatte: Er dirigierte im Graben der Wiener Staatsoper ein anderes Orchester als die Wiener Philharmoniker. Mit seinen Musiciens du Louvre brachte er Barockoper zurück ins Haus am Ring. Am kommenden Sonntag (16. Oktober) gibt es die Neuauflage mit Glucks "Armide". Ein Gespräch mit einem, der "immer ein Chamäleon" sein wollte.

Opern von Christoph Willibald Gluck sind seit einigen Jahren vermehrt auf den Spielplänen großer Opernhäuser zu finden, auch Sie selbst sind dabei viel im Einsatz. Woher kommt diese Renaissance?

Minkowski: Das Gluck-Repertoire hat nicht einfach aufgehört, es war in Relation eher eine kurze Zeit, in der man diese Opern weniger hörte. Sie wurden im 19. Jahrhundert sogar sehr viel gespielt, waren ein wichtiger Einfluss für Wagner, Berlioz und Verdi. Heute reizt uns die Faszination, den richtigen Klang dafür zu finden. Es ist ein bisschen wie die Restaurierung eines Da Vinci - dafür ist es notwendig, eine bestimmte Kultur, Fähigkeit und Neugier zu besitzen. "Armide" ist ein besonderes Meisterwerk von Gluck, das wird mir gerade jetzt wieder klar. Ich habe das Stück vor 20 Jahren aufgenommen - und es seither nicht mehr angefasst.

Gluck hat exakt das selbe Libretto von Philippe Quinault benutzt, wie zuvor bereits Jean-Baptiste Lully. War das eine Provokation?

Minkowski: Nein, ich denke es war eine Ehre. Ein Stück wieder aufzugreifen, das gerade einmal hundert Jahre alt ist, ohne nur ein Wort zu verändern - das ist für uns gar nicht vorstellbar. Da sieht man auch, wie viel langsamer heute die Evolution der Musik vor sich geht. Die Version von Lully habe ich noch nie dirigiert, auch sie ist ein Meisterwerk. Der Vergleich würde wohl zeigen, wie rasch sich die Oper veränderte, wie plötzlich das Orchester eine theatralische und romantische Rolle erhielt.

Marc Minkoswki blickt in die Oper von Bordeaux
Marc Minkoswki blickt in die Oper von Bordeaux © APA/AFP/GEORGES GOBET

Vor sechs Jahren haben Sie Barockoper an die Staatsoper zurückgebracht und mit einem Gastorchester eine kleine Revolution bestritten. Was hat sich seither verändert?

Minkowski: Wir sind selbstsicherer geworden. Der Orchestergraben wurde nun auch schon von anderen bespielt, es ist nicht mehr so neu. Und wir sind vielseitiger geworden. Wir haben seither auch hier in Wien vieles abseits des Barockfachs gemacht, "Nozze", "Fidelio", den "Holländer". Ich wollte immer ein Chamäleon sein. Ich werde immer Barockrepertoire spielen, aber mein Leben dreht sich derzeit mehr um Mozart und um Wagner. Ich halte nichts von diesen strengen Repertoiregrenzen. Für mich ist es mehr eine Frage der Geisteshaltung als des Klangs.

Seit dem Sommer sind Sie Direktor der Oper in Bordeaux. Werden Dirigenten an Opernhäusern normalerweise nicht eher Musikdirektor als Manager?

Minkowski: Das stimmt, aber gerade das hat mich gereizt. Ich bin Intendant und werde mich selbst immer wieder als Gastdirigent engagieren (lacht). Ich habe sogar einen eigenen Musikdirektor in meinem Team. Ich wollte immer schon Programmieren und im Kontakt mit Menschen wie Gerard Mortier, Alexander Pereira, Stephane Lissner oder Dominique Meyer habe ich in den vergangenen Jahren sehr viel gelernt. Manchmal ist es hilfreich, als Manager ein Künstler zu sein. Für anderes braucht man dann ein besonders gutes Team.

Was bedeutet Ihre neue Position für die Musiciens du Louvre?

Minkowski: Die Musiciens spielen noch immer eine sehr wichtige Rolle für mich. Aber sie machen nun seit einigen Jahren auch Programme mit anderen Dirigenten.

Sowohl der Concentus Musicus als auch die Academy of St. Martin in the Fields haben ihre Gründungsdirigenten verloren. Kann man den Geist eines Ensembles darüber hinaus erhalten?

Minkowski: Ich habe die Academy of St. Martin in die Fields kürzlich mit Janine Jansen gehört, die von der Geige aus dirigiert hat. Das hat wunderbar funktioniert, der Geist von Neville Marriner war richtig präsent und Jansen hat ihre eigene Vision mitgebracht. Marriner und Nikolaus Harnoncourt waren beide sehr wichtig für mich. Marriner war eine Referenz. Harnoncourt war das große Vorbild, ein echter Hirte. Gottseidank hat er ein so reiches Erbe an Aufnahmen hinterlassen.

Ist der Höhepunkt der Originalklangbewegung vorbei?

Minkowski: Nicht unbedingt vorbei, aber die Mission, authentische Instrumente zum selbstverständlichen Bestandteil des Konzertlebens zu machen, ist wohl erfüllt. Es gibt heute keinen Musikstudenten mehr, der damit nicht in Kontakt kommt. Und nun wird langsam deutlicher, was für mich immer klar war: Man kann beides machen.

Dirigent, Intendant - könnten Sie sich vorstellen, auch selbst Regie zu führen?

Minkowski: Durchaus. Aber mal abwarten. Es würde mich auf jeden Fall interessieren.