Vor 50 Jahren wurde der Beatles-Fan Bruno Coon Zeuge eines musikgeschichtlichen Ereignisses. Doch das war dem damals zwölfjährigen Kalifornier weder bewusst, noch konnte er den Auftritt der "Fab Four" im Candlestick Park bei San Francisco richtig hören. "Als die Beatles auf Bühne kamen, brach die Hölle los", erinnert sich Coon im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
"Es war das reinste Chaos, Schreie und eher Tumult als Konzert." Doch Coon, heute 62, der als Komponist und Musikredakteur an Filmen wie "Toy Story" und "Die Monster Uni" mitwirkte, schwärmt nostalgisch: "Es war total aufregend." Mit ihm tobten am 29. August 1966 rund 25.000 kreischende Fans in dem windigen Sportstadion. Sie hatten vier bis sechs Dollar Eintritt gezahlt, um die Beatles beim Finale ihrer dritten US-Tournee zu erleben. Es wurde ein historisches Konzert: John Lennon, Paul McCartney, Ringo Starr und George Harrison standen zum letzten Mal gemeinsam vor zahlendem Publikum auf einer Bühne.
Nur elf Lieder und dann war es vorbei
Es war kein prächtiger Abgang. Schon 33 Minuten nach dem Auftakt mit Chuck Berrys "Rock And Roll Music" machten sie mit ihrer Version von Little Richards "Long Tall Sally" wieder Schluss. Mit elf Songs, darunter "Yesterday" und "I Feel Fine", wurde die hysterische Menge abgespeist. Die Beatles spielte auf einer kleinen Bühne mitten auf dem Baseball-Rasen, von einem zwei Meter hohen Drahtzaun umgeben, ohne direkten Kontakt zu den kreischenden Teenagern, das hatten sie mit dem Tour-Promoter ausgehandelt. Dutzende Polizisten bewachten die Bühne. Sie mussten immer wieder eingreifen, als Fans über die Absperrungen kletterten. Mit einer gepanzerten Limousine wurden die Musiker gleich nach dem Auftritt von der Bühne weg zum Flughafen geschleust.
"Die Mädchen schrien wie verrückt", erzählt Rhonda Northrup über das Konzert vor 50 Jahren. Coon hatte die gleichaltrige Mitschülerin eingeladen, sein Vater war als Begleitung mitgekommen. Northrup, heute Lehrerin im US-Staat Oregon, erinnert sich an eine gewisse Anspannung. "Richtig locker wirkten die Beatles nicht. Ringo Starr drehte sich häufig um, als ob er irgendwie Angst hätte."
Die letzte Welttournee der Pilzköpfe stand unter keinem guten Stern. Im Juli war es auf den Philippinen zum Tumult gekommen, als die Beatles einer Einladung der Präsidentengattin Imelda Marcos nicht folgten. In den USA hatte John Lennon mit seiner Bemerkung, die Beatles seien bekannter als Jesus, Fans und Kritiker verprellt. Die Verdrossenheit über den ohrenbetäubenden Lärm bei den Konzerten tat das Übrige dazu.
Die Beatles wussten vielleicht, dass der Auftritt in San Francisco ihr letzter sein würde, spekulierten später die Medien. McCartney ließ das Konzert auf Tonband mitschneiden. Lennon brachte seine Kamera auf die Bühne und hielt den historischen Moment mit Schnappschüssen fest. Nur die Fans sahen das Ende nicht kommen.
"Für mich war es der totale Schock, wir hatten nicht die geringste Ahnung", sagt der Musiker Roy Loney (70), Mitbegründer der 60er-Jahre-Rockband The Flamin' Groovies. Er hatte die Beatles in San Francisco auf ihren drei Tourneen erlebt. "Ich musste sie einfach sehen, sie haben unser Leben verändert. Wegen ihnen haben wir eine Band gegründet." Doch der Sound beim letzten Auftritt im Candlestick-Stadion war wirklich schlecht, erinnert sich Loney, der damals 20 Jahre alt war. "Das hörte sich an wie Musik aus dem Transistorradio von der anderen Straßenseite."
Im Studio nahmen die Beatles weiter Platten auf, bis zum offiziellen Schlussstrich von McCartney, der im April 1970 verkündete, dass er nicht mehr in der Band spielen werde. Die Fans hofften weiter auf eine Beatles-Reunion. Mit der Ermordung von John Lennon in New York - am 8. Dezember 1980 - zerplatzten diese Hoffnungen endgültig.
Beatles-Fan Dave Seabury (63) bedauert es noch heute, dass er mit 13 Jahren nicht beim letzten Konzert in San Francisco dabei war. Die Eltern hatten es nicht erlaubt. Doch der Musiker und Künstler wurde 1986 bei einem Flohmarktkauf entschädigt. Für einen Dollar erstand er einen alten Kontaktabzug mit 72 Schwarz-Weiß-Fotos der Beatles.
"Ich ahnte, dass dies seltene Fotos sind", erzählt Seabury. Jetzt steht fest, die bisher unveröffentlichten Beatles-Aufnahmen wurden bei dem Konzert vor 50 Jahren geschossen. Den Fotografen konnte Seabury bis jetzt nicht ausmachen. Über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter trommelte er 7.000 Dollar zusammen, ließ den Kontaktstreifen nachbessern und machte Abzüge "dieser unglaublich bewegenden Porträts". "John ist von allen am besten getroffen", sagt Seabury. "Aber ich sehe in vielen Fotos auch eine gewisse Erschöpfung und Anspannung."
Genau 50 Jahre nach dem Candlestick-Auftritt, am Montag (29. August), wird die Ausstellung "Beatles: Lost and Found Photos" in San Francisco eröffnet. Zur Erinnerung an die "Fab Four" wird eine Band die elf Konzertsongs von 1966 live spielen. Seabury scheut keinen Aufwand. "Die Beatles haben uns alle verändert, die Musik, die ganze Welt."
Barbara Munker/dpa