Für die einen ist er "Grönemeister", für die anderen nur der "Grölemeyer" - doch am Ende ist er so oder so längst nicht mehr wegzudenken: Vor 60 Jahren wurde in Göttingen in Niedersachsen ein gewisser Herbert Arthur Wiglev Clamor Grönemeyer geboren - und heute dürfte es kaum einen Deutschen geben, der den Zeugwart großer Empfindungen nicht kennt oder nicht eines seiner ziemlich unzerstörbaren Lieder parat hat.

Mit Startproblemen

Gingen die ersten vier Alben noch - wohl zu Recht - unter wie Blei und mussten die Tourneen dazu teilweise wegen mangelnder Nachfrage abgesagt werden, legt er 1984 mit dem Album "4630 Bochum" das Fundament für eine Karriere sondergleichen, die bis heute funktioniert. Die Ode an seine Heimatstadt und den bleigrauen Ruhrpott trumpft mit unverwüstlichen Klassikern wie "Männer", "Flugzeuge im Bauch", "Alkohol", "Mambo" und nicht zuletzt dem zur inoffiziellen Hymne gewordenen Titellied auf. Plötzlich ist da einer, der bürgerlich und bodenständig, aber nicht platt ist. Einer, der die Worte ungeniert zu Gefühlsstrudeln formt und verdreht, aber trotzdem nie die Bodenhaftung verliert. Wenn es sein muss, mit großem Theaterdonner, aber für ein Massenpublikum nachvollziehbar. Grönemeyer schreibt für das "Bochum"-Album die Texte selbst - und was für Texte es sind! Wer sich nicht in den herzwunden Schmerz von "Flugzeuge im Bauch" hineinfühlen kann, der hatte noch nie Liebeskummer oder (ebenso schlimm) war noch nie verliebt.

In erster Linie ist Grönemeyer, der jüngste von drei Brüdern, bis dahin Schauspieler gewesen, auf der Bühne und im Film. Nach seiner Reifeprüfung wird er zum musikalischen Leiter im Schauspielhaus Bochum - in den nächsten Jahren steht er selbst auch in Hamburg, Berlin, Stuttgart und Köln auf den Theaterbühnen. Als Leutnant Werner im Weltkriegs-U-Boot-Drama "Das Boot" wird er 1981 dem Publikum bereits ein Begriff - die Musikkarriere braucht länger. Bei Dreharbeiten lernt er seine Frau und die Mutter seiner Kinder Felix und Marie, die Schauspielerin Anna Henkel, kennen. Ende der 1980er-Jahre ist klar: Dieser Mann besteht vor allem auch auf Stadionbühnen, beschwört die Massen wie kein anderer. Tournee um Tournee wird zum Triumph, "Gröni" wächst sich zum Phänomen aus. Ein schweißtriefender Dompteur, der seine Drei-Stunden-Konzerte zelebriert und dem das Publikum bei jedem Wort an seinen Lippen hängt.

Die Stimme wird da bereits eifrig diskutiert: Einige fordern Untertitel, um zu verstehen, was Grönemeyer da eigentlich singt, anderen wird angesichts des durchdringenden Timbres die Milch sauer. Grönemeyer bietet viel Reibefläche, doch er hält es aus. Für Millionen von Fans ist seine einschneidende Stimme längst ein lieb gewordenes Unikum, die Sprache zur Urgewalt werden lässt. Ob überbordender Schmerz, helle Euphorie - und all die Schattierungen dazwischen. Grönemeyer hat das passende Sentiment parat.

Gipfel und Täler

Grönemeyer legt mit "Ö" (1988), "Luxus" (1990) und "Chaos" (1993) souverän nach, bis ihn 1998 das Schicksal bis ins Mark durchbeutelt: Binnen weniger Tage raubt der Krebs ihm Anna, die Liebe seines Lebens, und seinen Bruder Wilhelm. Der große Gefühlsverwalter verharrt ein Jahr in Schockstarre, funktioniert aber für seine Kinder und seine Musik. Ende der 1990er-Jahre geht er mit dem widerborstigen "Bleibt alles anders" auf Tournee, braucht aber bis 2002, um seinen eigenen Status Quo wieder auf einen Nenner zu bringen: "Mensch", das mit 3,5 Millionen Exemplaren weitaus erfolgreichste Grönemeyer-Album, enthält neben dem Titelstück auch "Der Weg". Ein Abschiedsgruß an seine verstorbene Frau, das noch tiefer rührt als all seine Stücke zuvor. Ein Ende wird markiert, es ist aber auch ein Bekenntnis zum Weitermachen, zum Neuanfang - denn er habe "immer versucht, von Tag zu Tag zu leben." "Dauernd Jetzt" ist das 14., bislang letzte Studioalbum des Deutschen - für 2018 darf man mit dem nächsten rechnen.

Inzwischen hat Grönemeyer sein Londoner Exil wieder gegen Berlin eingetauscht und mit Josha jene Frau gefunden, "mit der er alt werden will". Auch mit seinem Publikum in Österreich verbindet ihn eine besondere Liebe, für Live-Konzerte gräbt er ja traditionell "Ich hab Dich lieb" aus dem Album "Zwo" von 1980 aus: Eine Zuneigung, die seit langem auf Gegenseitigkeit beruht. Verstummen dürfte er nicht so rasch: "Musik schreiben werde ich immer, wie ich hoffentlich auch immer küssen werde", gibt er Entwarnung.

Der Gefühlskapitän sticht weiter in See.