Da ist diese Stimme, bei der man einfach ganz unvermittelt fragen muss: Wie schafft es ein 23-Jähriger, der beim Bartwuchs noch etwas zulegen könnte, so zu singen? Gurgelt er des Morgens mit Zahnputzbechern voller Single Malt? Konsumiert er Rauchwaren in Stangenmengen? Beides – übrigens, liebe jugendliche Leser in dieser Form eben nicht zur Nachahmung empfohlen – dürfte nicht zutreffen. Henning May, und Frontmann der deutschen Indie-Publikumslieblinge AnnenMayKantereit, singt einfach – so.


Es war die Leidenschaft zur Musik, die May und seine Bandkollegen Christopher Annen, Severin Kantereit und Malte Huck vor einigen Jahren vom Klassenzimmer weg in die Fußgängerzonen von Köln führte. Das professionelle Musikerleben habe sich "nach und nach immer weiter rauskristallisiert". Die Titel "Jeden Morgen", "Nicht nichts" und "Oft gefragt" hatte man schon damals im Gepäck, 2013 erschien das Debüt noch in Eigenregie aufgelegt und in Recyclingpapier verpackt. Seit gestern gibt es das zweite Album "Alles nix Konkretes", mit dem die Freundesformation eine ausverkaufte Tournee von März bis September bestreitet, die sie auch nach Salzburg, Wien, Wiesen sowie Graz führen wird.


Das Rezept, mit dem sie ihre dahintrabenden Drei-Minuten-Lieder aufkochen (und mittlerweile unzählige Fans einkochen), ist so simpel wie stimmig: Folk, Pop und ein wenig Blues, meist rein akustisch eingespielt, als hätte man die Burschen zu sich ins Wohnzimmer eingeladen. Text und Musik werden meist kongenial miteinander verwoben - die Kunst, eingängig zu sein, ohne den Holzhammer auszupacken, ist eine hohe. Wenn May zum Mikrofron schreitet und seine Mitstreiter den Teppich dazu auslegen, dürfte ein Rio Reiser selig wohlwollend von Wolke sieben herunterwinken – und auch ein Sven Regener von Element Of Crime lässt stimmlich herzlich grüßen. In den Texten geht es hier meist um Liebe. Um jene Liebe, die ihr Ablaufdatum überschritt, wohlgemerkt.

Dass man es mit Reduktion auf Grundzutaten so schnell so weit bringen kann, stößt einigen Kritikern sauer auf: "Die Zeit" stellt in einem aktuellen Verriss die Frage "Haben die jungen Leute das verdient?" und wirft AnnenMayKantereit – etwas billig – vor, Alltägliches banal zu vertonen. Wer die Videos zu "Pocahontas" oder "Barfuß am Klavier" (zwei Höhepunkte der zwöfl Titel) auf YouTube wirklich anhört, dürfte dem hemdsärmeligen Charme dieser handgemachten Musik freilich flugs verfallen. Die Saat ist jedenfalls gelegt.