"Mehr Menschen als am Strand von Jesolo im Sommer" würden über den roten Teppich vor der Wiener Staatsoper schreiten. Mit diesen Worten eröffnete eine tief dekolletierte Mirjam Weichselbraun die ORF-Übertragung vom Opernball 2023 mit seinen rund 5000 Gästen. Mag nicht unbedingt stimmen, aber wer will an so einem Abend schon nachrechnen? Statt mit einer fertigen Doku, meldete sich der ORF im Gegensatz zu den Jahren vor der zweijährigen Zwangspause immerhin live um 20.15 Uhr; die Zeit bis zum Eintreffen der Gäste wurde immer wieder mit voraufgezeichneten Reportagen kurzweilig überbrückt.
Wofür sich Andi Knoll als idealer Reporter mit seiner unverblümten, hemdsärmeligen und spritzigen Art erwies. Dann "klapperte" der 50-jährige Tiroler auf flotte und launige Art die prominenten Ballbesucher ab. Daneben wirkte Teresa Vogel mitunter etwas kapriziert, womöglich, weil sie als "Kulturlady" von ORF 2 so auftreten will. Diesmal wurde ja ein Moderatoren-Geschwader in die "Schlacht" geschickt. Will der ORF in Krisenzeiten Flagge zeigen, sind auch ZiB-Anchorman und ZiB-Anchorwoman im Einsatz.
Zuvor durfte aber Alfons Haider dem Opernball-TV-Publikum Adieu sagen. "Es freut mich, dass der ORF das macht, denn das gibt mir auch Gelegenheit, mich zu bedanken und mich zu verabschieden von den Zuschauern", erklärte der 65-Jährige. Der das Jubiläum knapp nicht erreicht hat: In 24 Ballnächten war Haider mit Kamerateam in der Staatsoper unterwegs gewesen. Und sichtlich ergriffen mit brüchiger Stimme und feuchten Augen im Gespräch mit Mirjam Weichselbraun in der Mittelloge. Zu dem für ihn überraschenden Aus als Opernball-Präsentator sagte er: "Eine Tür fällt zu, zwei Türen gehen auf!"
Tarek Leitner und Nadja Bernhard führten vor den Interviews mit Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft noch durch eine Art „Universum History“ mit den Geheimnissen und der Geschichte der Staatsoper. Ihre Rolle war die steifere und staatstragende, ohne dass Wahlergebnisse oder Ähnliches vermittelt werden mussten. So breit war das ORF-Team für die Übertragung jedenfalls noch nie aufgestellt. Mirjam war nach der zweijährigen Zwangspause besonders gut gelaunt und hofierte charmant die „Reich und schön“-Vertreterinnen und -Vertreter, ohne sich anzumerken zu lassen, was sie sich mitunter dachte.
Herzerwärmend war ohnehin das Kinderballett im Rahmen der Eröffnung: junge Talente ganz groß! Und der fantastische Kinderchor brachte die Freude über den Bildschirm, die manche Gäste in den gezeigten Logen nicht unbedingt ausstrahlten. Dabei müsste eigentlich das Strahlen von Eröffnungs-Choreografin Maria Santner, die auch wieder in der "Dancing Stars"-Jury sitzen wird, ansteckend sein.
Fazit: ORF-Regie (Heidi Haschek) und Kamerateams (18 Kameras im Einsatz) boten an diesem Abend aus unterschiedlichen Perspektiven ein sehenswertes, elegantes Heimkino für die besten Plätze auf der Couch daheim.
Wer die Übertragung des ORF versäumt hat, kann am Freitag um 20.15 Uhr in ORF 1 noch einmal das Ballgeflüster verfolgen. Kristina Inhof präsentiert in „Alles Opernball“ u. a. die extravagantesten Auftritte und aufwendigsten Outfits und zeigt, was sich noch alles in den Logen, Sälen, Gängen und versteckten Plätzen der Staatsoper ereignet hat.