"Wie sind wir hier gelandet?", fragt Prinz Harry zu Beginn. Für die Antwort nahmen sich er und seine Frau sechs einstündige Folgen lang Zeit, um selbst ihre Geschichte erzählend die narrative Lufthoheit zurückzuerlangen. "Sie zerstören uns", sagt Meghan trocken über ihre Erlebnisse mit den britischen Boulevardmedien. Mit ihrer Dokuserie "Harry & Meghan", deren erste Episoden seit Donnerstag auf Netflix abrufbar sind, wollen sie ihre eigene Öffentlichkeit schaffen, Seitenhiebe in Richtung der königlichen Familie inklusive. Ein schmaler Grat, fürstlich entlohnt vom Streamingdienst, der für die Zusammenarbeit den Sussexes rund 100 Millionen Dollar gezahlt haben soll.

H nennt sie ihren Mann. Als würde die Trennlinie zwischen dem früheren adeligen und dem neuen bürgerlichen Leben so zweifellos sein, dass nicht einmal der frühere Name übrig bleiben darf. Es ist die Geschichte von zwei Menschen, bei der sie alles opferte, um in seine Welt zu passen, bis er alles opferte, um in ihre Welt zu passen. Am Ende dieser Transformation steht freilich nicht Mittellosigkeit, denn an finanziellen, kommunikativen oder sozialen Mitteln mangelt es dem Paar auch heute nicht. Alle Türen stehen offen. Sie rufen und fast alle antworten.

Wer ist Prinz Haz?

Am Anfang steht die Rechtfertigung. Warum wollen Sie die Dokumentation machen? Die Frage wird ausführlich beantwortet. Es gehe ihnen um Authentizität und gegen die Missinformation. Unzählige Bücher seien von Menschen über sie geschrieben worden, erzählt Meghan, mit denen sie noch nie geredet hatten. "Ergibt es nicht mehr Sinn, die Geschichte von uns zu erfahren?"

Zu erfahren ist in den ersten drei Folgen, die mit der Hochzeit enden, über das Erwachsenwerden zweier Scheidungskinder, über kindliche Glückseligkeit mit der Familie und Freunden. Im Fall von Harry sind nur wenige Momente seines Lebens klar von der täglichen Verfolgungsjagd durch mit Kameras bewaffnete "Royal Watchers" und das Drama um seine Mutter zu trennen. An einer der eindrücklichsten Stellen der Doku begegnet einem ein vielleicht sechsjähriger Harry, der es den Fotografen gleichtun will und mit einem Fernglas auf sie schielt. "Ich wollte nicht, dass sich die Geschichte wiederholt", verweist Harry auf die am Ende tödliche Jagd auf Diana.

Der jüngere Sohn von König Charles beschreibt das stille Einverständnis des Königshauses mit den mächtigen Medienhäusern des Landes, wo "Royals-Experten" wie ein verlängerter Arm der Öffentlichkeitsarbeit dienen, um den Zeitungen sogenannte authentische Blicke in das Leben der Adeligen zu ermöglichen. Auf einer anderen Ebene verpflichtet sich die Familie als Geschichtenfabrik, die liefern muss, solange die Bevölkerung sich das Königshaus finanziell leistet.

"Wer ist Prinz Haz??", muss Meghan nachfragen. Tatsächlich, darauf lassen die Filme schließen, hatte die ehemalige Schauspielerin früher wenig Bezug zum Königshaus. Ihre Welt war eine andere, eine amerikanische und eine Online-Welt: Nach einem ersten Kontaktversuch von Harry fragte sie, ob sie seinen Insta-Feed sehen könnte. "Das war für mich das beste Barometer", erinnert sich Meghan. Die Ironie ist bitter, dass just die Plattformen, die für sie damals ein taugliches Wahrheitsbarometer abbildeten, später zum Tollplatz eines anonymen Mobs werden sollten, der sich das Maul über Harrys neue Freundin und spätere Frau zerreißen sollte.

Die Doku zieht eine gerade Linie von der traumatischen Verfolgung Dianas, den Psychoterror durch ständige Anwesenheit von Kameras, zum Druck, den ihr Sohn am Umgang der britischen Presse mit Meghan beobachtete. Zeitlich und technologisch transformiert, bei Meghan zusätzlich noch rassistisch konnotiert, wie die Doku auch in Bezug auf die Sklavengeschichte Großbritanniens herausarbeitet.

Unendlicher Hype und die Wahrheit

In Boulevard und Feuilleton wurde vorab großformatig erörtert und kulinarisch aufbereitet, was die Trailer an schlagzeilentauglichen Häppchen zuwarfen. Freilich noch bevor die Doku für irgendjemanden zu sehen war. Geschickt spielte Netflix die Spannungsklaviatur und die Hauptfiguren spielten brav mit, indem sie öffentlichkeitswirksam kurz vor Veröffentlichung darauf bestanden hatten, einzelne Szenen zu entschärfen. Wer sein Leben lang von unersättlichen Schlagzeilenmaschinen verfolgt wird, weiß wie eine gute Story erzählt wird. "Niemand kennt die ganze Wahrheit. Wir kennen die ganze Wahrheit", sagt Harry gleich zu Beginn.

So sehr die Dokumentation auf die Unarten der britischen Tabloids und des Königshauses fokussiert, gibt es mehr als das zu entdecken. Etwa, wie seine Aufenthalte in Afrika Harry prägten, wo er manchmal dreimal pro Monat hinflog. Wo sonst sollten Meghan und Harry ihre FaceTime-Fernbeziehung beenden, wenn nicht in dem von ihm geliebten Botswana? "Ich verspreche dir, dich zu beschützen", schwor er ihr. Was damals für einen nahenden Elefanten galt, war später nicht weniger als seine adelige Welt.

Immer wieder liefern idyllische Szenen mit Sohn Archie und Tochter Lilibet oder Erinnerungen an das unschuldige, heimliche Kennenlernen die Fallhöhe des Liebesglücks eines jungen Paares, das glamourös heiratete, das eine Familie gründete, das reist und dem Anschein nach genug Mut und Energie hat, um die Welt zu umarmen, nur um dann auf die dunklen Seiten ihres Märchens zu stoßen.

Auch augenzwinkernde Szenen fehlen nicht. Als Meghan ihr erstes Weihnachten mit der königlichen Familie in Sandringham erlebte, sei sie zu Tisch neben Prinz Philip gesessen: "Wir redeten so viel und hatten eine tolle Zeit." Später erklärte ihr Harry, dass sie in Philips schwaches Ohr gesprochen hatte: "Er konnte nichts davon hören, was du gesagt hast."

Königsfamilie "wenig amused"

Inzwischen hat sich auch der Buckingham Palace zu Wort gemeldet. Wenig überraschend mit einem ersten Demementi. Wie "Daily Mail" berichtet, sei die Königsfamilie nicht wie behauptet in einer Anfrage um ihre Sicht der Dinge gebeten worden.