Sie haben in Forschungsarbeiten zusammen mit Kollegen untersucht, welche Auswirkungen das Zeitungssterben in den USA auf das Thema Wirtschaftskriminalität hat. Was sind die Ergebnisse? Was erwartet uns zukünftig?
JONAS HEESE: Die Ergebnisse waren interessant und sogar etwas überraschend für uns. In unserer empirischen Studie haben wir mehr als 26.000 Gesetzesverstöße von börsennotierten Unternehmen untersucht. Konkret haben wir analysiert, ob Niederlassungen dieser Unternehmen mehr Gesetzesverstöße begehen, nachdem eine lokale Zeitung schließt. Wir stellten fest, dass die Zahl der Verstöße um 1,1 Prozent anstieg und die damit verbundenen Geldbußen um mehr als 15 Prozent. Das Ergebnis verdeutlicht, dass zum einen die zusätzlichen Verstöße schwerwiegender waren und zum anderen, dass Unternehmen eher bereit sind, Gesetzesverstöße zu begehen, wenn die lokale Zeitung schließt.

Wie ist die Arbeitsteilung zwischen den kontrollierenden Behörden und den Zeitungen? Warum reißen fehlende Zeitungen eine Lücke?
Aus Sicht eines Unternehmens – vor allem eines börsennotierten Unternehmens – ist die Rufschädigung der größte Kostenpunkt. Es gibt viele Beispiele, wo der Aktienpreis deutlich gefallen ist. Diese Kosten sind meistens größer als die behördlichen Strafen. Wenn eine lokale Zeitung schließt, erfährt die Öffentlichkeit nicht, dass ein Unternehmen gegen das Gesetz verstoßen hat.

Medienwissenschaftler Matthias Karmasin bewertet die Lage in Österreich:

Wie wirken die Zeitungen bei der Korruptionsbekämpfung konkret?
Lokale Zeitungen scheinen zwei Hauptfunktionen zu haben. Zum einen sind sie näher an der lokalen Bevölkerung und genießen oft auch ein größeres Vertrauen in ihrem lokalen Verbreitungsgebiet. Das kann dazu führen, dass zum Beispiel Mitarbeiter von Unternehmen Missstände an die Zeitung melden. Zum anderen kann eine nationale Zeitung einen lokalen Zeitungsartikel aufgreifen, was dazu führt, dass die Missstände einer noch breiteren Öffentlichkeit bekannt werden. Es gibt noch einen zusätzlichen Gesichtspunkt. In unserer Studie untersuchen wir Verfehlungen von Niederlassungen. Die Unternehmenszentrale will so etwas in ihren Filialen vermeiden, hat aber selbst oft nur unzureichende Informationen über die lokalen Abläufe. Lokale Zeitungen liefern also auch hilfreiche Informationen für die Unternehmen selbst.

Können sich nicht die Unternehmen über Inserate quasi die Zeitungen "kaufen"?
Das war unsere Sorge. Lokale Zeitungen sind oftmals finanziell recht abhängig von Inseraten großer Unternehmen. Das könnte dazu führen, dass sie nicht kritisch berichten. Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass das im Allgemeinen nicht passiert.

Was bedeutet der Umstieg von Printzeitungen auf Internet-Formate/soziale Medien? Gibt es da Erkenntnisse?
In zusätzlichen Analysen finden wir, dass der komplette Wegfall einer lokalen Zeitung den stärksten Effekt hat. Der Umstieg von Print auf Online-Only führt zu einer Zunahme von Gesetzesverstößen. Hier muss man aber vorsichtig in der Interpretation sein, da die Entscheidung zum Umstieg auf Online-Only oftmals auch mit einer deutlichen Reduzierung des Personals verbunden ist.

Sollte der Staat oder die Gesellschaft deshalb Zeitungen und guten Journalismus fördern?
Zu dem Thema gibt es aktuell in den USA eine interessante Debatte. Ich denke aber, dass Zeitungen sich selbst Gedanken machen müssen, wie sie ihr Geschäftsmodell zukunftsfähig machen können. Zudem stellt sich die Frage, ob der Staat Gesetzesverstöße nicht besser bekämpfen kann, wenn er Aufsichtsbehörden mit mehr finanziellen Mitteln ausstattet, statt Zeitungen zu fördern.

Welche Rolle spielen NGOs? Decken die nicht auch viel auf und schaffen Öffentlichkeit in deren eigenen Medien?
Ja, NGOs spielen mit Sicherheit auch eine große Rolle. Allerdings benötigen diese auch oftmals die traditionellen Medien, um ihre Anliegen zu verbreiten.

Wie sieht das vergleichsweise in Europa aus? Gibt es da Daten bzw. Studien?
Es gibt zwei große Unterschiede zwischen Europa und den USA. Zum einen gibt es immer noch weniger "weiße Flecken" in Europa, also weniger Gegenden, in denen es gar keine lokalen Medien mehr gibt. Zum anderen gibt es aber auch eine viel schlechtere Datenlage über Gesetzesverstöße. Das heißt, die (Recherche-)Arbeit von Medien ist deshalb sogar wichtiger in Europa, da die Öffentlichkeit selbst nicht einfach auf Datenbanken für Unternehmensverstöße zugreifen kann wie hier in den USA.