Es ist ein Coup für Servus TV: Regiestar Andreas Prochaska („Das finstere Tal“) verwirklichte in Koproduktion mit dem ZDF den düsteren Mafia-Zweiteiler „Im Netz der Camorra“, in dem inmitten idyllischer Weinhänge in Südtirol nebst Rotwein Blut fließt. Den Edelwinzer Matteo DeCanin, den seine Geschichte einholt, verkörpert Tobias Moretti, der erstmals mit seiner Tochter Antonia Moretti vor der Kamera stand: als Vater und Tochter. „Die Geschichte hat eigentlich nur peripher mit Wein zu tun. Wein ist letztendlich etwas Archaisches – ähnlich wie die Mafia auch. Eigentlich ist die Geschichte ein Familiendrama. Die mafiöse Konstruktion, der Druck von außen ist das Damoklesschwert, das über diesem Familienkosmos schwebt. Sobald man mit der Mafia zu tun hat, geht es immer um archaische Formen, um Unterwerfung und um Vendetta, Rache, der man nicht entkommt. Wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, kommt man nie mehr raus. Das hat mich an dieser Geschichte interessiert“, sagt der 62-Jährige gut gelaunt bei einem Interview im Hotel Altstadt in Wien-Neubau.
Nachsatz des Weinliebhabers: „Der Wein ist ein Element in diesem Gebilde, der es einerseits sehr poetisch und andererseits knallhart begleitet. Wein ist ja auch immer schon ein Symbol für Blut gewesen – schon in der Bibel.“ Am Set habe Andreas Prochaska angewiesen: „Hier gibt’s nix Rotes außer Wein und Blut.“
Als ein Mafioso aus Süditalien auftaucht, entspinnt sich bald ein Netz aus Geheimnissen, Lügen, Gewalt und Verzweiflung. Die Familie ahnt nichts. „Am verletzlichsten ist der Mensch bei dem, was er am meisten liebt: beim eigenen Kind“, sagt Moretti. Und dieses liefert eine bravouröse Talentprobe ab. „Es gab ein Casting mit mehreren Runden. Ich bin erst sehr spät ins Rennen gekommen“, sagt Antonia Moretti. Durch die „tolle Begleitung“ der Regie und der Schauspielerinnen und Schauspieler wie Ursina Lardi hätten sich die beiden nicht in der Konstellation verloren.
„Wir konnten Distanz schaffen und diese wahren“, sagt die 23-Jährige, die schon im Film „Die beste Party meines Lebens“ und im Tiroler Landkrimi „Das Mädchen aus dem Bergsee“ mitwirkte. Der Kameramann Thomas Kiennast, der sie von einem früheren Film kannte, habe sie ins Spiel gebracht: „Kann man die casten?“, habe er den Vater gefragt. Dieser steckte gerade mitten in den "Jedermann"-Proben. Beide lachen. „Ich war erstaunt und fast geschockt“, gesteht dieser. Warum? „Ich verwechsle das normalerweise nicht: Privates mit meinem Beruf“, erklärt der neunfache Romy-Gewinner.
Die Zusammenarbeit habe funktioniert: „Ich bin in der Arbeit ein Berserker und völlig auf diese Arbeit fokussiert. Wenn ich beim Spiel nicht vergessen könnte, dass sie meine Tochter ist, dann könnte ich den Film nicht machen. Ich kann nicht anders arbeiten. Ich spüre bei jeder meiner Figuren deren existenzielle Bedrohung – wenn es gut geht“, erklärt er. „Und es hat funktioniert, ich konnte es vergessen, schon von der ersten Szene an. Wir haben uns nicht gegenseitig irritiert. Es war von Anfang an egal, ob wir verwandt sind.“ Und an seine Tochter gerichtet sagt er: „Wie du den Schluss gespielt hat, hat mich zutiefst berührt. Ich habe gedacht: Woher kann die das? Wo hat die das Handwerk her? Drei Tage lang auf dem Level zu spielen – wow!“
Antonia Moretti studiert aktuell Physiotherapie in Innsbruck, davor in Köln: „Ich wollte auf gar keinen Fall die Berufe meiner Eltern ausüben: Musikerin oder Schauspielerin. Und was habe ich gemacht? Jazzgesang und Schauspiel studiert.“ Sie lacht. Fortsetzung ist nicht ausgeschlossen, auch in der Mafia-Story in den Südtiroler Weinbergen nicht. "Das Ende hat sich in den letzten Drehzügen ergeben. Es war eigentlich anders geschrieben. Man fragt sich, wie es um diese Familie steht, wenn wieder der Alltag losgeht, wie sich die Beziehungen und die Menschen verändert haben und was sich daraus ergeben könnte", sagt Vater Moretti.
Auf die Frage, ob sie sich am Set neu kennengelernt hätten, sagte die 23-Jährige: Privat nicht, arbeitstechnisch schon, wir sind uns das erste Mal als Kollegen begegnet."
Grenzgänger und Grenzjäger
Und Tobis Moretti holte sich wenige Stunden nach dem Interview den Europäischen Kulturpreis in Bonn ab. Begründung der Jury: Er sei „ein Grenzgänger zwischen den Welten des Kinos, des Fernsehens und des Theaters“. Moretti: „Ich bin ein Grenzgänger, irgendwie. Und ich bin ein Grenzjäger im Sinne Max Reinhardts. Ich schmuggle Dinge wie Illusionen, Wahrheiten und Unwahrheiten herum.“ Was bedeutet ihm diese Auszeichnung? "Es ist eine nicht alltägliche hohe Auszeichnung. Ich bin klarerweise sehr erfreut und fühle mich sehr geehrt. Ich bin immer ein Europäer gewesen, mir hat die Divergenz, die Verschiedenheit unseres Europas so unglaublich gefallen. Ich hätte nie wo anders lieber gelebt als in Europa, mit den Mentalitäten und Verschiedenheiten von Spanien, Frankreich oder Italien und all den anderen", sagt er. Und weiter: "Mittlerweile verändert sich manches: weil das kulturelle Selbstverständnis sich verändert. Die wirtschaftliche Effizienz nimmt darin immer mehr Raum ein, so als wäre sie der gemeinsame Nenner. Gerade darum freut es mich sehr, dass es eine Institution wie diesen Kulturpreis gibt, die den Blick auf den kulturellen Reichtum Europas ausrichtet."