Der Presserat hat oe24.at und krone.at mehrfach für deren Berichterstattung über den Terroranschlag vom 2. November des Vorjahres in der Wiener Innenstadt gerügt. Die beiden Medien verletzten mit der Veröffentlichung zweier Videos Punkt 5 (Persönlichkeitsschutz) und 6 (Intimsphäre) des Ehrenkodex für die österreichische Presse, teilte der Presserat am Donnerstag mit.
Über 1500 Beschwerden und damit so viele wie noch nie gingen zur Berichterstattung einiger Medien über den Terroranschlag ein. Der Senat 2 stellte mehrere Ethikverstöße durch die Veröffentlichung jener Videos fest, die von den Usern am häufigsten beanstandet wurden: Eines zeigt die Ermordung einer Passantin. Auf dem anderen ist zu sehen, wie ein Polizist vom Attentäter niedergeschossen wurde.
Erläuterung der Verstöße
Durch die Verbreitung jenes Videos, das die Ermordung einer Passantin zeigt, haben die Plattformen oe24.at und krone.at in schwerwiegender Form gegen Punkt 5 (Persönlichkeitsschutz) und Punkt 6 (Intimsphäre) des Ehrenkodex verstoßen. Die Persönlichkeitssphäre eines Menschen sei über dessen Tod hinaus zu wahren, entschied der Senat 2. Zudem zähle der Moment des Todes zum Bereich der Intimsphäre. Als Opfer eines Gewaltverbrechens sei die ermordete Frau daher besonders schutzwürdig (Punkt 5.4 des Ehrenkodex). Auch stelle die Veröffentlichung von derartigem Bild- und Videomaterial eine grobe Missachtung der Menschwürde dar und könne die Trauerarbeit von Angehörigen der Verstorbenen erschweren. Ein legitimes Informationsinteresse, das die Veröffentlichung rechtfertigen könnte, stellte der Presserat nicht fest. Die Verbreitung diente "vor allem der Befriedigung des Voyeurismus und der Sensationsinteressen gewisser Userinnen und User. Das Medium wurde somit seiner Filterfunktion nicht gerecht", heißt es in der Entscheidung.
Oe24.at und krone.at verpixelten das Bild des Opfers. Das fiel nach Ansicht des Senats jedoch aufgrund der Brutalität und Einzigartigkeit der Tat nicht ins Gewicht, da das Opfer für einen beschränkten Personenkreis weiterhin identifizierbar gewesen sei. Dass bereits ausländische Medien das Videomaterial veröffentlicht hatten, entbinde die beiden Medien nicht von der Pflicht, eine selbstständige Prüfung anhand der Bestimmungen des Ehrenkodex durchzuführen. Auch der Umstand, dass krone.at nur jenen Teil des Videos zeigte, in dem die Passantin niedergeschossen wird und damit die Rückkehr des Attentäters zum Opfer samt tödlicher Schussabgabe aussparte, änderte an der Entscheidung des Presserats nichts.
Oe24.at brachte gegenüber dem Presserat vor, dass das Video beim Schwesterunternehmen oe24.tv veröffentlicht wurde. Oe24.at übernimmt die Live-Berichterstattung des Senders laut Senat 2 jedoch "fortdauernd" in einem Livestream-Fenster. Deswegen treffe die Plattform auch die ethische Verpflichtung, für die Inhalte von oe24.tv einzustehen. Auch von oe24.at vorgebrachte technische Übermittlungsprobleme aufgrund einer Serverüberlastung ändern laut der Entscheidung des Presserats nichts an diesem Umstand.
Der Presserat rügt oe24.at und krone.at zudem aufgrund der Veröffentlichung eines zweiten Videos. Es zeigt, wie ein Polizist bei einem Schusswechsel mit dem Attentäter angeschossen wird und schwer verletzt zu Boden geht. Hier verstießen die beiden Medien gegen Punkt 6 (Schutz der Intimsphäre) und Punkt 5.4 ("Auf die Anonymitätsinteressen von Unfall- und Verbrechensopfern ist besonders zu achten") des Ehrenkodex für die österreichische Presse. Der Senat 2 merkte an, dass Polizisten in Ausübung ihrer Dienstpflicht grundsätzlich weniger Persönlichkeitsschutz als Privatpersonen genießen. Dennoch liege ein Verstoß vor, da "die Schussattacke in bewegten Bildern und in allen Einzelheiten dargestellt wurde", so die Entscheidung.
Wofgang Fellner spricht von "totalem Fehlurteil"
Zeitungen und Zeitschriften, die sich dazu bereit erklären, den Ehrenkodex einzuhalten, verpflichten sich, Erkenntnisse gegen das eigene Medium zu publizieren. Oe24.at erkennt die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats an. Bei "krone.at" ist dies nicht der Fall. Beide Medien machten von der Möglichkeit Gebrauch, an dem Verfahren des Presserats teilzunehmen.
Oe24.at-Geschäftsführer und "Österreich"-Herausgeber WolfgangFellner sprach gegenüber der APA von einem "totalen Fehlurteil" des Presserats. Oe24.at werde für Inhalte verurteilt, die lediglich auf oe24.tv, aber niemals auf oe24.at gelaufen seien. "Es mag sein, dass an anderen Tagen ein Livestream von oe24.tv auf oe24.at läuft, aber an diesem Tag nachweislich nicht", so Fellner. Es handle sich um zwei unterschiedliche Unternehmen und Redaktionen, die an jenem Tag eine "völlig unterschiedliche Berichterstattung" aufgewiesen hätten. Es sei unzulässig, dass der Senat 2 das nicht zur Kenntnis nimmt, meinte der Geschäftsführer und sprach von einer "absoluten Bösartigkeit, die den gesamten Presserat in Frage stellt". Sollte dieser die Entscheidung nicht zurückziehen, kündigte Fellner rechtliche Schritte an. Er überlegt zudem, die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats künftig nicht mehr anzuerkennen.
Der Presserat ging auf diese Argumentation in seinem Urteil proaktiv ein:
"Zu „oe24.at“ merkte der Senat an, dass diese Webseite die Live-Berichterstattung en bloc von „oe24.TV“ in Form eines Livestream-Fensters übernimmt und sich die Inhalte des Fernsehsenders fortdauernd aneignet. Der redaktionelle Entscheidungsprozess ist damit abgeschlossen. Etwaige kurzfristige technische Übermittlungsprobleme aufgrund einer Serverüberlastung – wie von „oe24.at“ im konkreten Fall vorgebracht - befreien „oe24.at“ nach Meinung des Senats daher nicht von der ethischen Verpflichtung, für die Inhalte ihres Schwesterunternehmens „oe24.TV“ einzustehen."
Keine ethischen Verfehlungen stellte der Senat 2 durch die Veröffentlichung von Videomaterial fest, das lediglich den Attentäter während der Tat zeigt. Dieser vollzog laut der Entscheidung eine außergewöhnliche Straftat, die ihm seinen Anspruch auf Persönlichkeitsschutz entzog. Somit durften Medien – in diesem Fall krone.at, kurier.at, oe24.at und vol.at – grundsätzlich die Identität eines Attentäters preisgeben. Auch habe das Videomaterial Userinnen und Usern die Dimension des Anschlags verdeutlicht und Personen in der Nähe potenziell als Warnung gedient.
Dennoch merkte der Presserat kritisch an, dass Medien das Video trotz Aufrufen der Polizei, kein Bildmaterial von der Tat zu veröffentlichen, kurz nach der Tat zeigten. Ein derartiger Aufruf an die Medien ist laut Senat 2 zwar nicht zwingend, er müsse jedoch dazu veranlassen, genau zu prüfen, ob berechtigte Interessen gegen die Veröffentlichung sprechen – in diesem Fall das Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit. Die Veröffentlichung hätte die Ermittlungsarbeit der Behörden beeinträchtigen können. Auch sei zu bedenken, dass es Terroristen zumeist ein Anliegen ist, dass Bildmaterial eines Terroranschlags medial verbreitet wird.
Verbreitung von Gerüchten war kein Verstoß
Auch die Verbreitung von Gerüchten zur Anzahl der Täter und zu einer Geiselnahme in Wien-Mariahilf stellte nach Ansicht des Presserats keinen Ethikverstoß dar. Gewissenhaftigkeit und Korrektheit in Recherche und Wiedergabe von Nachrichten ist gemäß Punkt 2.1 des Ehrenkodex oberste Verpflichtung von Journalisten. Doch die Gerüchte stammten offenbar von der Polizei, einer grundsätzlich seriösen Quelle. "Aufgrund der potentiellen akuten Gefahrensituation überwog hier das öffentliche Interesse an der Verbreitung der nicht bestätigten Informationen", entschied der Senat 2.
Das Selbstkontrollorgan der österreichischen Presse überprüfte noch weitere Bildveröffentlichungen zum Terroranschlag in Print- und Onlinemedien. Details dazu finden sich auf der Homepage des Presserats.