Unaufhörlich fährt der Paternoster im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin, hier rauf, dort runter. Wie der Daumen der „Bild“-Zeitung: Wem der Gegenwind von Deutschlands größer Tageszeitung entgegenschlägt, braucht einen langen Atem. „Bild.Macht.Deutschland“ lautet entsprechend der doppeldeutige Titel einer siebenteiligen Dokuserie über den deutschen Boulevard-Riesen. Ein gutes halbes Jahr lang begleitete ein Kamerateam die Arbeit der Redakteure und die Entscheidungsprozesse. Dass die Dokumentation just 2020 gedreht wurde, macht die Serie auch zu einer Rekapitulation der Corona-Berichterstattung.
Julian Reichelt stellt Vornamen gerne hinter Nachnamen, wenn er über Menschen spricht. Mit „dem Söder Markus“ kommt der „Bild“-Chefredakteur gut aus. Und über „den Kurz Sebastian“ sagt er: „So einen brauchen wir auch.“ Wenn ihm Namen entfallen, fragt er in die Runde: „Wie heißt der Oberchinese?“
Die Dokureihe ist speziell auf Reichelt zugeschnitten. Er gibt den rauchenden Antreiber („Das ist eure Zeit, das wird nicht mehr größer in eurem Leben“), den Pöbler, den Unterhalter, den machtbewussten Meinungsmacher, den Kampagnenreiter, den abgehärteten Zyniker, der sich, als Blattmacher, über die noch größere Katastrophe freut. Die Grenzüberschreitung ist eingepreist, die Dramatisierung das Spielprinzip. Zurückhaltung und Abwägung sind nicht Teil dieses Boulevard-Prinzips.
Die weibliche Form kann man aussparen, wenn man über die gezeigten Abläufe in der Redaktion spricht: Journalistinnen kommen in der Dokumentation so selten vor wie „Bild“-Kritiker.
Die Prime-Produktion ist aufschlussreich, legt Abläufe frei und gewährt einen Blick in den hochkompetitiven Druckkochtopf, in dem die „Bild“ täglich Schlagzeilen schafft. Exklusivität ist Trumpf, Geschwindigkeit Pflicht, Ausgewogenheit nicht Teil der selbst auferlegten Regeln. „Wir schlagen Breschen, wir gehen mit der Marching Band durch die Fußgängerzone, und die ,Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ kommt mit der Harfe hinterher“, erklärt es einer der Redakteure trocken.