Der „Tatort“ ist Fernsehgeschichte, Spiegelbild seiner Zeit und er ist in die Jahre gekommen. Welche Bedeutung hat der „Tatort“ heute noch?

Jörg Hartmann: Ich glaube, und bin ja nicht der einzige der das sagt, dass der Tatort noch ein Ritual ist, das unterschiedliche Milieus verbindet und miteinander reden lässt – was ja heutzutage immer schwieriger wird. Da kann man relativ gefahrlos auf nicht vermintem Gebiet sich unterhalten und in eine neue Woche starten. Dieses Gemeinschaftserlebnis, dieses Live-Erlebnis vor dem Fernseher, sonntags zur fixen Uhrzeit, das scheint heutzutage etwas ganz Anachronistisches zu sein – aber letztendlich etwas, das in der Form überleben könnte.

Der „Tatort“ ist eine Art Bastion des klassischen Fernsehens. Wie halten Sie es persönlich mit Streaming?

Hartmann: Ich bin, Sie werden es kaum glauben, gar nicht so ein leidenschaftlich großer Fernsehgucker, sondern eher in Bücher vernarrt, lese lieber, als dass ich irgendwelche Filme gucke. Mit kleinen Kindern ist man sowieso nicht mehr bereit, ganze Nächte durchzugucken. Dem nichtlinearen Fernsehen stehe ich schon noch immer skeptisch gegenüber. Wie das Karnickel vor der Schlange erstarre ich regelrecht, wenn ich dieses Überangebot sehe, was es da auf den diversen Sendern gibt.

Ist das nicht ein Vorwurf, den man auch dem „Tatort“ macht: Zu viele Drehorte, zu viele Ermittler?

Hartmann: Ja, total. Durch die vielen Wiederholungen vergeht ja, glaube ich, kein Tag, an dem nicht irgendwo ein Tatort läuft. Das ist, so sehr man sich über den Erfolg des Formats freut, bedenklich. Wird etwas zu viel, wird man dessen müde.

In der Jubiläumsausgabe treffen die Ermittlerteams aus München und Dortmund in einer Doppelfolge aufeinander. Gab es einen Art Kulturclash am Set?

Hartmann: Wir waren natürlich ganz viele Platzhirsche und haben immer versucht, uns an die Kamera zu schmieren (lacht). Nein, Spaß beiseite, die Dreharbeiten waren kollegial, freundschaftlich fast schon.

Hat Sie das persönlich gefreut, dass Dortmund für das Jubiläum berücksichtigt wurde?

Hartmann: Ja, schon. So ein bisschen kommt dann auch der Druck, wenn einem bewusst wird, was das heißt, die Jubiläumsdoppelfolge für 50 Jahre „Tatort“ zu machen. Da denkt man schon, man sollte das nicht völlig verhauen. Aber der echte Druck war dann eher bei Redaktion, Produktion und auch Autoren, eine Geschichte zu erfinden, die beide Städte verbindet und über 180 Minuten funktioniert. Chapeau, das muss man erst einmal hinkriegen. Im Vergleich dazu haben wir relativ wenig zu leisten.

In der Jubiläumsfolge verabschiedet sich Aylin Tezel, Darstellerin der Nora Dalay. Wie fühlt sich das an, wenn eine Kollegin oder ein Kollege sagt: Ich mag nicht mehr.

Unspektakulärer Abgang für Aylin Tezel als Nora Dalay.
Unspektakulärer Abgang für Aylin Tezel als Nora Dalay. © (c) WDR/Markus Tedeskino

Hartmann: Man ist sich ja im Laufe der Jahre immer vertrauter geworden und ich mag sie wirklich sehr. Deshalb fand ich es auch einen persönlichen Verlust, dass Aylin jetzt gegangen ist, kann es aber nachvollziehen. Es ist nicht so, dass man sich da vor den Kopf gestoßen fühlt. Sie will sich den Weg freimachen für viele andere Produktionen. Sie ist jung, sie hat viele andere Ideen und Möglichkeiten. Aber trotzdem war es schade. Das ist über die lange Zeit schon auch ein Abschied, der wehtut, definitiv.

Nora Dalay sagt an einer Stelle zu Ihrer Figur den Satz: „Faber, nach alldem, was Sie durchhaben, in den letzten Jahren: Wollen Sie nicht einmal eine Pause machen.“ Für Sie braucht es diese Pause noch nicht?

Hartmann: Also die Figur Faber braucht die Pause noch nicht. Ich weiß gar nicht, was der in einer Pause machen würde. Entweder würde sich eine gigantische Leere auftun in ihm oder er wäre gezwungen mal richtig konsequent über sich nachzudenken. Das wäre wahrscheinlich auch nicht so lustig für ihn. Deshalb versucht er sich eher mit weiteren Fällen abzulenken. Gottseidank hat er seine Arbeit noch.

Und der Schauspieler Jörg Hartmann?

Hartmann: Ist auch noch nicht am Ende mit dem Faber. Ich will das nicht bis zum Pensionsalter machen, definitiv nicht, aber noch bin ich damit nicht fertig.

Neben dem „Tatort“, stehen sie regelmäßig für Filme und Serien vor der Kamera oder stehen im Theater auf der Bühne. Wie geht sich das allen, neben zwei kleinen Kindern, aus?

Hartmann: Es geht auch immer wirklich an die Grenzen der Belastbarkeit. Ich versuche mich zurückzuhalten mit anderen Drehs und sage nur zu, wenn ich das Gefühl habe, da ist eine Rolle, die mich wirklich interessiert. Ich versuche natürlich schon auch immer, gerade jetzt, nachdem ich so viel Tatort gedreht habe, viel Zuhause zu sein und Zeit für meine Kinder zu haben. Es ist eine Gratwanderung. Diese Logistik zermürbt einen manchmal. Aber da ist ja jeder seines eigenen Glückes Schmied.

Welchen Faber spielen Sie eigentlich lieber: Den exzentrisch-misanthropischen oder den harmonischen Faber?

Hartmann: Unterschiedlich. Ich mag Szenen, wo er einmal seine witzige Seite zeigen kann: Das ist bei ihm meistens etwas, wo er andere Leute provoziert – was eine gewisse Komik haben kann. Wenn ich so richtig ins Volle gehen und ausspielen kann. Auch durchaus bei Extremszenen, die mir emotional einiges abverlangen. Im Gegensatz dazu mag ich auch die stillen Szenen mit Frau Böhnisch, wo man so ganz subtil unter dieser Oberfläche des Frotzelns die Zuneigung erzählen kann und was da an verquerer Liebesgeschichte zwischen den beiden abläuft. Das finde ich sehr reizvoll.

Kern des Dortmunder Teams: Faber und Böhnisch (Anna Schudt)
Kern des Dortmunder Teams: Faber und Böhnisch (Anna Schudt) © (c) WDR/Frank Dicks

Da gab es ja beim Impro-„Tatort“ zum Jahresbeginn diese kurze Szene mit dem geflüsterten „Ich liebe Sie“ zwischen Faber und Böhnisch. Das kann man doch nicht einfach im Raum stehen lassen?

Hartmann: (lacht) Das war natürlich wirklich improvisiert in dem Moment und hat sich schon über viele Folgen angekündigt. Nein, man kann es nicht einfach so im Raum stehen lassen und es wird auch noch eine nicht unbedeutende Rolle spielen, um es einmal so auszudrücken.