Es ist richtig, wenn wir möglichst lange und intensiv darüber diskutieren, warum einige Bilder der Wiener Terrornacht nicht gezeigt werden hätten sollen. Es ist naiv, wenn wir glauben, dass diese Debatte verhindern wird, dass künftig ähnlich grauenhafte Aufnahmen schrecklicher Ereignisse in Umlauf geraten. Was technisch möglich ist, geschieht. Kein Verbot kann das stoppen.

Der öffentliche Diskurs über die Videos schafft Bewusstsein. Das Gespür, dass nicht erst die Funktionen des Smartphones uns Grenzen setzen dürfen, ist unterentwickelt. Während der gesellschaftliche Nachholbedarf zum Unaussprechlichen ein Markenzeichen der Polarisierung ist, steckt er beim Nichtherzeigbaren in den Kinderschuhen. Die individuelle globale Verbreitung von Reden und Schreiben ist nur ein neuer Vertriebskanal ursprünglicher Kulturtechniken. Dass jeder bewegende und bewegte Bilder ins weltweite Netz stellen kann, hat hingegen kaum weniger Tradition als die Möglichkeit für alle, solche Aufnahme zu erzeugen.

Deshalb sind wir trotz des anhaltend rasanten Trends zur Visualisierung bei ihrer inhaltlichen gesellschaftlichen Verarbeitung noch nicht so weit wie beim Wort. Dort verschärfen sich die Gegensätze zwischen Alles-Sagern und Hütern der Political Correctness. Beim Bild hingegen wirkt mangelnde Trittsicherheit als Normalfall. Social Media, diese doppelt irreführend benannten digitalen Plattformen sind wegen ihres strikten Einschreitens gegen Nacktheit, aber der Gewähr von vielerlei Gewalt ein schlechter Wegweiser.

Herkömmliche Medien können und sollen hingegen eine Richtschnur für öffentliche Darstellung liefern. Das haben fast alle österreichischen Sender und Zeitungen am Montag live und in der Nachberichterstattung getan – nur zwei reichweitenstarke Marken nicht. Ihre Entschuldigung war notwendig. Ihre Ächtung durch den Werbestopp großer Inserenten ist richtig. Doch für eine langfristige Verhaltensänderung reicht das nicht aus. Dazu läuft das Geschäft mit dem Tabubruch zu gut. Auch die Branchen-Instrumente zur Selbstkontrolle sind unzulänglich. Wirksam wäre erst ein dauerhafter Inseratenboykott. Vor allem durch die öffentliche Hand.

Die Regierung vergibt ausgerechnet an die schwarzen Schafe überproportional viele Werbemillionen. Das muss ebenso ausgeschlossen sein wie staatliche Förderung für Zeitungen und Sender, die regelmäßig zu weit gehen. Erst wenn bei anhaltenden Verstößen der Verlust von Einschaltungen und Subvention droht, werden sich die Regelbrecher ändern. Nein, das wäre keine Zensur. Das ist Anstand.