60:50:30 Prozent – so lautet die Krisen-Faustregel für die Marktanteile von „Bundesland heute“, „Zeit im Bild“ und „ZIB2“ allein für ORF2. Dazu kommen noch Hunderttausende Zuschauer per Durchschaltung aufs erste Programm und 3sat sowie Nachseher in der TVthek. Der ORF stand schon lange nicht mehr so wenig infrage wie seit den Iden des März – exakt ab Freitag, dem 13.
Doch die Freude über die Quote umschließt keinen Freibrief für die Qualität. So wie in der Politik die Kommunikation keine Kritik an der Organisation vereiteln darf, so steht öffentlich-rechtliche Leistung weiterhin zur Diskussion – ungeachtet des Mitgefühls für die Moderatoren-Isolation. Ausgerechnet der ausschlaggebende Faktor für den aktuellen Höhenflug der ORF-Information ist dabei die Achillesferse des Unternehmens: seine Wahrnehmung als Sprachrohr der Regierung.
Dies geschieht schon durch die uniforme Bilderflut. Denn Türkis-Grün zeigt Flagge – von Rot-Weiß-Rot bis zu Gold auf Blau: Wo sie nur können, präsentieren sich Kanzler, Vize und Minister vor der österreichischen und der Europafahne. Nichts wirkt stärker als dieses Signal: Siehe, hier spricht die Staatsmacht! Umso wichtiger ist die journalistische Dekonstruktion dieser Autorität.
Der Interview-Stil der „ZIB 2“ bietet dafür Orientierungshilfe. Zum Maßstab taugt er nicht, weil sein Standard unter Bedingungen von Video-Zuschaltung auch dort schwer zu halten ist. Aber die Haltung dahinter sollte prototypisch für öffentlich-rechtliche Befragung sein: Höflich, aber neugierig, verbindlich, aber hartnäckig, freundlich, aber widerspenstig. Nur solche Augenhöhe sichert dem ORF auf Dauer eine glaubwürdige Rolle als Vermittler zwischen Bürger und Macht.
Dieses in der Krise besonders notwendige Verhältnis kippt mitunter in Obrigkeitsverkündung. Schon wenn Sebastian Kurz ohne Nachhaken für eine „ZIB spezial“ befragt wird, wirkt das eher nach Audienz statt wie ein Interview. Dass danach der Chefredakteur das Gespräch des Kanzlers mit den Journalisten analysiert, lässt das Ganze vollends in Skurrile abstürzen. Die einerseits freiwillige und zum anderen mit dem Showeffekt behaftete Selbstisolation auf dem Küniglberg führt zu einer maßlosen Überreizung des neuen Rituals „Moderator fragt Redakteur“.
So wie die Marktanteile des ORF wieder sinken, müssen seine journalistischen Reflexe wieder wachsen. Der Grat zwischen Public Value und Staatssender ist schmal. Für seine Bewältigung bietet Quotenjubel eine Aufstiegshilfe. Gegen die Absturzgefahr hilft eine Qualitätsdiskussion.
Peter Plaikner ist Politikanalyst und Medienberater mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.