In Ihrer Geschichte geht es um eine Marienerscheinung im Südosten Frankreichs. Die 18-jährige Anna behauptet, ihr sei dort die Mutter Gottes erschienen und habe ihr eine wichtige Botschaft mitgegeben. Beruht das Ganze auf Tatsachen?

XAVIER GIANNOLI: Ja, aber es ist nicht in Frankreich geschehen, sondern im früheren Jugoslawien, drei Mädchen und zwei Buben waren beteiligt. Ich hatte davon gelesen, wusste aber nicht, was ich davon halten sollte. Letztendlich aber war es nicht die Erscheinung selbst, die mich interessierte und faszinierte.

Sondern?

XAVIER GIANNOLI: Es waren die mysteriösen kanonischen Untersuchungsausschüsse, von denen kaum jemand weiß. Die Kirche hat sie ins Leben gerufen, um übernatürliche Sachverhalte wie Wunderheilungen oder Erscheinungen zu klären. Da ist die Kirche heutzutage sehr gewissenhaft, man möchte auf keinerlei Scharlatanerie hereinfallen. Einem solchen Ausschuss gehören nicht nur Geistliche an, sondern Menschen aus verschiedensten Berufen, etwa Ärzte oder Historiker. Bei mir sind es eben ein Journalist, ein Beauftragter der Polizei, eine Psychologin. Über diese Ausschüsse, das war mit entscheidend für mich, hat es nie zuvor einen Film gegeben.

Warum ist bei Ihnen just ein Journalist Leiter des Ausschusses?

XAVIER GIANNOLI: Mein Vater war Journalist, und ich wollte an die Geschichte mit den Augen eines Journalisten herangehen, eines Mannes, der weder Frömmler noch zynischer Atheist ist, sondern simpel und einfach ein denkender Mensch, der wissen möchte, was wahr ist und was nicht.

Sie haben, könnte man sagen, auf Ihrer Suche nach Glauben, Wunder und Wahrheit fast die Form eines Thrillers gewählt. Sind Sie eigentlich gläubig?

XAVIER GIANNOLI: Ich gehe nicht regelmäßig in die Kirche. Doch die Religionsfrage hat mich immer interessiert. Irgendetwas, denke ich, muss da sein, und ich glaube sehr wohl an die humanitäre Botschaft des Christentums. Zur Institution der Kirche halte ich jedoch Distanz. Sagen wir so: Ich würde mich als ewigen Zweifler bezeichnen, und als Filmemacher sollte man unbedingt ein Zweifler sein. Damit ich es generell schaffe, einen Film zu beginnen, muss ich mir zuallererst sagen können: Niemand wird daran glauben. Zunächst.

Der Jude Franz Werfel schrieb im Vorwort zu seinem Roman „Das Lied von Bernadette“: „Für den, der daran glaubt, ist keine Erklärung nötig. Für den, der nicht glaubt, ist keine Erklärung möglich“. Was halten Sie davon?

XAVIER GIANNOLI: Dieses Zitat habe ich nicht gekannt. Aber es gefällt mir. Ich habe für „Die Erscheinung“ natürlich auch mit Priestern gesprochen. Einem hatte ich das Drehbuch zu lesen gegeben und ihn danach gefragt: „Haben Sie weniger Angst vor dem Tod, weil Sie an das ewige Leben glauben?“ Er antwortete: „Im Moment, wo ich meine Augen schließen werde, werde ich mir zunächst sagen: Ich hoffe, dass ich mich nicht getäuscht habe!“ Diese Worte aus dem Mund eines Geistlichen haben mich sehr beeindruckt. „Ich weiß nicht“, das lasse ich auch meinen Journalisten ziemlich am Schluss sagen, als ihn Anna fragt: „Glaubst du mir?“ Es ist für mich der wichtigste Satz im ganzen Film.

Kritiker loben „Die Erscheinung“ als „kleines Wunder“, weil der Film ohne mystisches Raunen oder esoterisches Rauschen auskommt. Sie zeigen zum Beispiel die Marienerscheinung nie bildlich. Sie bieten auch keine Lösung, keine Antworten an.

XAVIER GIANNOLI: Weil ich keine Antworten weiß. Mysterium bleibt Mysterium, ein Mysterium hat auch eine gewisse Schönheit. Filme sind ebenfalls oft ein Mysterium. Es gibt Dinge, die wir sehen können - aber auch solche, die wir nicht sehen können.

Bitte erklären Sie das näher!

XAVIER GIANNOLI: Gern. In den meisten Filmen wird ein Haus gezeigt, und es ist und bleibt ein Haus. Dann kommt ein Regisseur wie Andrei Tarkowski, der uns ein Haus zeigt, und auf geheimnisvolle Weise wird es auf einmal mehr als nur ein solches. Ein poetischer Ort, in dem es um Geschichte und Gefühle geht, um Dinge, die wir nicht sehen können. Der Realität wird eine eigene Dimension hinzugefügt, und das ist es, was auch ich in meinen Filmen versuche. In einer Zeit, in der wir einem Überfluss an Bildern ausgesetzt sind, möchte ich zeigen, dass auch ein einzelnes Bild - wie die Ikone in „Die Erscheinung“ - wichtig sein und Tiefe haben kann.