Es ist schon etwas Besonderes, gewährt Nordkorea einem ORF-Journalisten, eine Woche im isoliertesten Staat der Welt zu recherchieren. Raimund Löws Reportage dann um 23.25 Uhr anzusetzen, ist natürlich ein Ärgernis für die meisten (potenziellen) Zuseher. Aber am Mittwoch hat die "Menschen & Mächte"-Doku "Der Fall Klimt" (22.30 Uhr) im Zuge der TV-Premiere von "Die Frau in Gold" (20.15 Uhr) Vorrang. Wem die Nordkorea-Doku zu spät läuft, dem bleibt ab Donnerstag der Klick in die ORF-TVthek.
Das Hinsehen lohnt sich allemal, denn China-Korrespondent Raimund Löw (65) holte das Maximum aus seiner vertrackten Lage heraus. Immerhin darf in Nordkorea kein ausländischer Journalist so mir nix, dir nix drauflosfilmen. Rund um die Uhr wurden Löw und sein Team von zwei Betreuern begleitet. Die zeigen einem nicht nur, was die Kameras nicht einfangen dürfen (Uniformierte), sondern vor allem, was gefilmt werden muss. So etwa Denkmäler der einstigen Machthaber Kim Il-sung und Kim Jong-il. Einmal sieht man Löw sogar Blumen niederlegen - natürlich auch auf eine Empfehlung hin.
Das Interview mit einem Vertreter des Außenministeriums bringt wenig Überraschendes: "Solange die USA ihre feindliche Politik gegen unsere Republik nicht aufgeben, werden wir unsere Atomstreitkräfte weiter stärken", sagt Ju Wang Hwan. Befremdlicher wirken Gespräche mit der Bevölkerung, denn alle Antworten beginnen ähnlich. Einmal ist vom "geliebten Marschall" die Rede, dann vom "respektierten Marschall, dessen Liebe wir erwidern wollen". Gemeint ist stets Diktator Kim Jong-un, der seit 2012 regiert. Allerdings zumindest teilweise etwas weniger unmenschlich als seine Vorgänger (Vater und Großvater). Der Wirtschaft geht es besser und die Bauern dürfen inzwischen immerhin 30 Prozent ihrer Ernte behalten. Doch leere Straßen zeugen nach wie vor von vielen Entbehrungen auf dem Land. Die Zeiten extremer Not sind laut Experten zwar vorbei, aber Millionen sollen weiter unterernährt sein. Das ORF-Team durfte auch ins Landesinnere reisen und natürlich das "Museum amerikanischer Kriegsverbrechen" filmen. Vom neuen Privatmarkt für die Bevölkerung konnte Löw aber nur erzählen - dort gab es keine Drehgenehmigung.
Bewegung im Streit um das nordkoreanische Atomprogramm war bei dem Besuch keine auszumachen. Die Feindschaft zu den USA ist ein Fundament des Staates. "Solange die Kim-Familie in Nordkorea an der Macht ist, wird es zu keinem Abbau der Atomwaffen kommen", sagt der Nordkorea-Kenner Andrei Lankov. "Kim Jong-un baut einen nuklearen Sprengkopf, mit dem er auf einer Interkontinentalrakete Nordamerika erreichen kann", ergänzt der ehemalige amerikanische Nordkorea-Verhandler Paul T. Haenle im ORF-Interview: "Für die USA verändert das total die Lage." Eine hintergründige Dokumentation mit exklusiven Bildern über einen der gefährlichsten Konflikte unserer Zeit. Nur eben sehr spät angesetzt ...
Christoph Steiner