Eine High-School-Schülerin beschließt, sich umzubringen. Zuvor nimmt sie Kassetten auf - gerichtet an jene 13 Personen, die Mitschuld tragen. Ab 31. März zeigt Netflix die so einfühlsam wie erschütternd inszenierte Dramaserie "Tote Mädchen lügen nicht" um Mobbing, Depression und Selbstmord unter Teenagern. "Wir beschönigen nichts", sagt Hauptdarstellerin Katherine Langford im Interview.
"13 Reasons Why", wie die Young-Adult-Serie im Original heißt, basiert auf dem gleichnamigen Bestsellerroman von Jay Asher aus dem Jahr 2007. Der US-Dramatiker Brian Yorkey - 2010 für das Libretto zum Musical "Next to Normal" mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet - bleibt der Vorlage bei seiner Adaption für den Bildschirm treu, dehnt die Erzählung jedoch von einer Nacht auf knapp zwei Wochen aus. "Ich kannte den Roman nicht, bevor ich gecastet wurde", sagt die Australierin Langford, die in der Titelrolle der Hannah Baker ihr Schauspieldebüt gibt. "Als ich ihn schließlich gelesen habe, war ich ein wenig schockiert, zu erfahren, worauf das hinausläuft."
Kassetten
Ihren Ausgang nimmt die Erzählung, als der 17-jährige Clay die mysteriösen Kassetten zugespielt bekommt. "Ich erzähle dir jetzt, warum mein Leben geendet hat", hört er seine Mitschülerin Hannah, für die er stets eine Schwäche hatte, einleitend sagen. "Und wenn du dieses Band hörst, bist du mit ein Grund." Höchst irritiert und zunehmend paranoid lauscht Clay den Aufnahmen und sucht die erwähnten Personen und Orte auf, um herauszufinden, was Hannah zu ihrem tragischen Entschluss getrieben hat - unwissend, wann er ins Spiel kommt, was er falsch gemacht oder wo er einfach weggeschaut hat.
Mittels paralleler Erzählstränge entfaltet die Serie über 13 Episoden - eine Folge pro Kassettenseite - Clays Spurensuche einerseits und Hannahs Abwärtsspirale andererseits. Die sich überlagernden Zeitebenen unterscheiden sich dezent in der Farbgebung: Schimmern die Rückblenden aus Hannahs Off-Erzählung ein wenig golden, ist die Gegenwart bläulich gefärbt. Für Außenstehende scheinbar harmlose Ereignisse wie ein verbreitetes Gerücht, ein explizites Foto oder ein freundschaftlicher Verrat kulminieren.
"Mit der Zeit wird klar, wie schwerwiegend diese Themen sind und wie gewunden die Geschichte ist", erzählt der aus u.a. "Gänsehaut" bekannte Schauspieler Dylan Minnette, der Clay verkörpert. Gerade mal 20 Jahre alt, ist er bereits seit zehn Jahren im Filmgeschäft - eine Erfahrung, die Langford fehlt. "Ich habe am Set Buch geführt, in dem ich jede Szene der Zeitachse zugeordnet habe", so die 20-Jährige. "Weil ich das zum ersten Mal mache, habe ich mir ständig Sorgen um Kontinuität gemacht." So lernen wir Hannah eingangs als lebenslustige und sarkastische junge Frau kennen, "und sehen zu, wie sie sich im Laufe der Staffel zunehmend auflöst", meint Langford.
Die Macher - darunter Popstar Selena Gomez als ausführende Produzentin und Oscarpreisträger Tom McCarthy ("Spotlight") als Regisseur der ersten beiden Folgen - standen vor der Herausforderung, den Selbstmord des Teenagers nicht zu verherrlichen. "Wir erzählen die Geschichte so, dass die Tragödie und Sinnlosigkeit von Hannahs Tat klar wird", sagt der via Video zugeschaltete Yorkey bei einem Netflix-Presseevent in Berlin. "Wir wollen vor allem jungen Zusehern zeigen, dass es für Hannah Wege gegeben hätte, das, was sie durchmacht, zu überstehen - und wie die Menschen in ihrem Leben sich anders hätten verhalten können, um den Ausgang drastisch zu verändern."
Die Serie gibt dementsprechend dem Danach viel Raum: der Verzweiflung der Eltern (stark: Kate Walsh als Mutter) und der Traumatisierung von Mitschülern. Durch ihre dichte Struktur entwickelt sie einen ungemeinen Sog und lässt junge wie auch erwachsene Zuseher im besten Fall Handlungen aus ihrer eigenen Schulzeit sowie den Umgang mit sozialen Medien hinterfragen. Gerade in der Generation von Facebook, Instagram und Co. ist der Schritt zum Voyeur, Stalker oder Bully nämlich nicht weit, wie "Tote Mädchen lügen nicht" hochaktuell zeigt - und Minnette aus eigener Erfahrung weiß.
"Es ist seltsam, eine Person öffentlichen Interesses zu sein - vor allem in den sozialen Medien. Man erlebt Cybermobbing in verschiedensten Ausprägungen", so der US-Amerikaner. "Es ist mir ein Rätsel, wie Menschen mit derart viel Selbstbewusstsein boshafte Kommentare schreiben - in dem Wissen, dass sie diese Person ohnehin nie treffen werden. Aber du liest das eben dennoch und natürlich beeinflusst das dich und deine Gedanken." Minnette hofft, dass sich aus der steigenden Aufmerksamkeit durch die im Vorfeld gehypte Serie vorrangig positive Gespräche online ergeben "und sich Menschen an uns richten, die jemanden zum Reden brauchen". Schon das Buch, weiß Langford, "hat das Leben vieler junger Leser verändert. Wir alle sind uns der Verantwortung bewusst. Und ich bin stolz darauf, wie unbeirrt und direkt wir sie angehen - das bekommt man im Fernsehen selten zu sehen."