Mit einem Gespür für ungewöhnlichen Erzählstoff ebnet Harvey Weinstein dem Indie-Film den Weg ins Multiplex-Kino. Fans verdanken ihm und seinem Bruder Klassiker wie "Pulp Fiction" und Kassenschlager wie die "Herr der Ringe"-Trilogie. Nun macht er sich ans Fernsehen. Am 19. März feiert er seinen 65. Geburtstag.
Glaubt man ihren Konkurrenten, sollte man die Weinstein-Brüder nie unterschätzen. "Meine eine Lektion aus dem Wettbewerb mit ihnen ist, sie niemals abzuschreiben", sagte etwa Joe Pichirallo, der bereits bei den Filmstudio Fox Searchlight Pictures und Focus Features im Vorstand saß. "Ich habe die Totenglocke oft für die Weinsteins läuten hören, nur um sie zurückrauschen zu sehen." Der ältere Bruder Harvey Weinstein hat der US-Filmbranche schon so manches Schnippchen geschlagen.
Mehr als unfassbare 300 Oscar-Nominierungen haben die von Weinstein produzierten Filme schon eingefahren, mehr als 75 Mal räumte ein von ihm und seinem Bruder Bob (mit-)produziertes Werk die Statuette ab. Unter ihren bekanntesten Titeln finden sich sowohl Klassiker wie "Pulp Fiction" (1994), "Der englische Patient" (1996), "Shakespeare in Love" (1998) und "Gangs of New York" (2002) als auch jüngere Kassenschlager wie die "Herr der Ringe"-Trilogie, "Inglourious Basterds" (2009), "The Artist" (2011) und "Django Unchained" (2012).
Liebe zum Kino
Es war wohl die Liebe zum Kino gekoppelt mit ihrem Unternehmergeist, die den aus dem New Yorker Stadtteil Queens stammenden Weinstein und seinen jüngeren Brüder Bob an die Spitze der umkämpften Filmindustrie führte. Mit den Einnahmen ihres ersten selbst produzierten Films "The Secret Policeman's Other Ball" (1982) gründeten sie die Produktionsfirma Miramax (ein Wortspiel aus den Vornamen ihrer Eltern), die Hollywood auch nach dem Verkauf 1993 an Disney kräftig durcheinanderwirbeln sollte.
Miramax habe den Indie-Film ins Multiplex-Kino geführt, schrieb die "New York Times" vor einigen Jahren über den ungewöhnlichen Erzählstoff, mit dem die Weinsteins große Teile das US-Kinos der 1990er- und 2000er-Jahre beherrschten. Doch mit einigen Vorschlägen stießen die Brüder beim damaligen Disney-Chef Michael Eisner auch auf taube Ohren: Eisner lehnte den Michael-Moore-Film "Fahrenheit 9/11" als zu politisch ab und wollte auch mit der aufwendig produzierten "Herr der Ringe"-Trilogie nichts zu tun haben - sie spielte weltweit fast drei Milliarden Dollar (2,8 Mrd. Euro) ein.
Wieder und wieder bewies der für seine Wutausbrüche berüchtigte Weinstein, der unter dem Spitznamen "The Punisher" (Der Bestrafer) bekannt wurde, dass er am Ende den richtigen Riecher hatte. "Filme kann ich im Schlaf machen", sagte er 2009 in einem Interview - und genau deshalb hätte er vielleicht dabei bleiben sollen. Denn der Versuch, sich mit der 2005 gegründeten und von Goldman Sachs mitfinanzierten Weinstein Company etwa auch in der Mode- und Internet-Branche zu versuchen, ging eher nach hinten los.
Der kräftige Bulle
Auch wegen des schwächelnden DVD-Markts und zahlreicher gefloppter Filmproduktionen übt sich der kräftige, bullig wirkende Weinstein inzwischen eher im Bereich Kabelfernsehen und Streaming. "TV ist an diesem Punkt in meiner Karriere einträglicher und viel einfacher. Wenn man Filme macht, läuft man auf dem Hochseil", sagte er der "Los Angeles Times" im Jänner. Auch mit seiner langen Erfahrung aus Hollywood sei die Welt des Kinos eine Art Elektrokardiogramm, das nach oben und unten ausschlägt.
Weit nach oben ist dieses EKG aber erst kürzlich wieder geschossen, als das Weinstein-Drama "Lion: Der lange Weg nach Hause" von 2016 über den Lebensweg eines indischen Buben für sechs Oscars nominiert wurde. Angesichts von nur sechs von den Weinsteins produzierten Filmen im vergangenen Jahr zeigt sich jedoch: Die Brüder wollen sich im Bereich Kino nur noch auf jene Werke konzentrieren, die das Publikum wirklich packen, also mehr Klasse als Masse produzieren.
Inzwischen hat Harvey Weinstein sich andere Ziele gesetzt, etwa der Kampf für die Reform des US-Strafrechtssystems mit einer TV-Serie. Mit Rapper Jay-Z will er die Geschichte des Ex-Insassen Kalief Browder im Doku-Format verfilmen, der von Aufsehern misshandelt wurde und sich nach seiner Entlassung das Leben nahm. "Wir haben eine Menge kommerziellen Kram gemacht", sagte Weinstein der "New York Daily News" kürzlich. Es sei jetzt an der Zeit, "Menschen zu motivieren".