Für viele Schlaflose und Sorgengeplagte kaum vorstellbar: Jürgen Domian hört auf. In der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember war der deutsche Moderator zum letzten Mal mit seinem Telefontalk im WDR-Fernsehen und bei Radio 1Live auf Sendung. Er wolle endlich auch mal ein normales Leben führen und häufiger die Morgensonne sehen, erklärte er vor eineinhalb Jahren seinen Abschied.

Seinen Entschluss habe er bis heute nicht bereut, sagte der 58-Jährige kurz vor seiner letzten Sendung, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Köln. "Natürlich ist auch etwas Wehmut dabei, die Sendung ist so verwachsen mit meinem Leben. Aber alles hat seine Zeit." In den vergangenen Monaten seien in der Redaktion massenweise Mails von Menschen eingegangen, die traurig seien, weil sie demnächst niemanden mehr hätten, an den sie sich mit ihren Anliegen wenden könnten. Domian wirkt geradezu betreten, als er davon erzählt. Aber er möchte eben nicht mehr der Kummerkasten der Nation sein - jedenfalls nicht nachts.

Was treibt wildfremde Anrufer dazu - rund 25.000 waren es seit dem Start 1995 -, Domian und damit gleichzeitig der Öffentlichkeit ihr Herz auszuschütten? "Viele Menschen haben leider keinen richtig guten Freund, mit dem sie über Probleme sprechen können, ganz zu Schweigen von der Sprachlosigkeit, die oft zwischen Ehepartnern herrscht", meint der Journalist.

Gewalt wurde mehr zum Thema als Sex

Auch, dass er seinem Publikum schon früh Dinge von sich selbst erzählte - zum Beispiel über seine Bisexualität oder seine frühere Bulimie-Erkrankung - habe geholfen, Vertrauen aufzubauen und andere Menschen ermutigt, ihm umgekehrt solche Geschichten anzuvertrauen. Und so wenden sie sich an Domian, erzählen ihm von schlimmen Krankheiten, ausgefallenen Sexspielchen, dunklen Fantasien und Verbrechen. Im Hintergrund sitzen Psychologen, die den Anrufer bei Bedarf weiter beraten.

Der Hirsch gehörte zum Inventar des Studios
Der Hirsch gehörte zum Inventar des Studios © WDR/Ludolf Dahmen

Die Art der Gespräche habe sich im Laufe der 21 Jahre nicht geändert, wohl aber deren Inhalte, hat Domian beobachtet. So spiele das Thema Sexualität - bezogen auf die Gesamtheit der Anrufe - inzwischen längst nicht mehr so eine große Rolle wie früher. Grund sei wahrscheinlich, dass heute jeder im Internet Gleichgesinnte und Antworten auf alles finden könne, so dass wohl eine gewisse Sättigung eingetreten sei, vermutet Domian.

Hingegen hätten Anrufe, die sich mit Gewalterfahrungen beschäftigten, stark zugenommen. Außerdem seien unter den Hilfesuchenden seit einigen Jahren häufig junge Leute mit Migrationshintergrund, die zwischen zwei Kulturen stünden und nicht mehr dem traditionellen Rollenbild ihrer Eltern folgen wollten.

20.000 Anrufer pro Nacht

Bis zu 20.000 Anrufer versuchten jede Nacht zwischen 1 und 2 Uhr, zu Domian durchzudringen, Mehrfachwähler mitgezählt. Ab und zu kam auch ein Fake-Anrufer durch - wenn auch nur selten, wie der Moderator versichert. "Ganz lässt sich das trotz sorgfältiger Vorauswahl leider nicht vermeiden und hat mich immer dann sehr geärgert, wenn es um vermeintlich ernste und traurige Themen ging." So erweckte im Februar eine Frau den Eindruck, dass sie während des Telefonats mit Domian von ihrem gewalttätigen Freund verprügelt werde - der Polizei gegenüber räumte sie später ein, dass es sich um einen "Scherz" gehandelt habe.

Eine Nachfolgesendung für "Domian" ist seitens des WDR nicht geplant - es sei ein Ausnahmeformat gewesen, das sich nicht so leicht ersetzen lasse, teilte eine Sprecherin zur Begründung mit. Mit der letzten Sendung gehe somit auch ein Kapitel Radio- und Fernsehgeschichte zu Ende. Domian will in Zukunft weiter Bücher schreiben. Anfang 2017 geht er im Rahmen einer 1Live-Produktion auf eine mehrmonatige Talk-Tournee. "Danach sehen wir weiter." Eines aber sei ganz sicher: "Nach der letzten Sendung werde ich sofort - aber wirklich sofort - meinen Tagesrhythmus umstellen."