Die Bronzeskulptur eines Buben, der auf seinem großen Koffer sitzt und in die Ferne blickt, erinnert in der Eingangshalle des Wiener Westbahnhofs an die rettenden Kindertransporte. Diese Skulptur war für ORF III-Geschäftführer Peter Schöbel der Anlass, diese Doku "Züge ins Leben" bei Filmemacherin Uli Jürgens in Auftrag zu geben. Im Wiener Jüdischen Museum wurde sie in Gegenwart von Zeitzeugen präsentiert.

Hans Menasse ist einer davon. Er war acht, als er mit seinem älteren Bruder nach England geschickt wurde. „Gleich nach der Ankunft“, erinnert er sich, „erkrankte ich an Scharlach und musste 14 Tage im Spital verbringen. Ich konnte kein Wort Englisch.“ Nach seiner Rückkehr nach Österreich hingegen konnte er kein Wort Deutsch. In der Zwischenzeit: „Überall ruhig und bescheiden sein, anpassen. Aber ich konnte mich zumindest meinem großen Hobby, dem Fußball, widmen, erhielt sogar eine Trainingseinladung zum Club Derby County.“

Zeitzeuge Hans Menasse kickte nach seiner Rückkehr bei der Vienna
Zeitzeuge Hans Menasse kickte nach seiner Rückkehr bei der Vienna © ORF

Menasse hatte letztendlich das große Glück, dass ihn, nach der Heimkehr die Eltern wieder in die Arme schließen konnten. Das war für viele andere nicht mehr möglich: „Meine Vater war Jude, die Mutter Christin. Trotz aller ‚Empfehlungen’ der Nazis, sich scheiden zu lassen, lehnte sie ab.So musste der Vater zwar im Steinbruch arbeiten, aber er überlebte.“ Hans Menasse wurde übrigens Fußballer bei Vienna und Austria, zwei Mal spielte er im Team. Und seine perfekten Englisch-Kenntnisse verhalfen ihm zu einem Top-Job bei einem US-Filmverleih.

Dora Schimanko: mit 16 plötzlich "feindliche Ausländerin"
Dora Schimanko: mit 16 plötzlich "feindliche Ausländerin" © ORF

Dora Schimanko, ebenfalls Zeitzeugin, verweist darauf, wie jüdische Schüler in den Klassenzimmern plötzlich in die letzten Bänke mussten, die Mitschüler durften keinen Kontakt zu ihnen haben. Aus Freunden wurden Feinde. Das war schrecklich für die Kinder: „Und wer von uns in England 16 wurde, galt plötzlich auch als ‚feindlicher Ausländer’, es gab Polizei- und Passkontrollen. Das änderte sich erst durch die Konferenz von Jalta.“ Eine Mahnung für die Welt von heute: „Wer sich wundert, warum Eltern aus Syrien ihre Kinder oft allein ins Ausland schicken, mag an unser Schicksal denken. Und dass die Kindertransporte lebensrettend waren.“

Ari Rath, der als 13jähriger nach Israel flüchtete und dort zum Herausgeber der „Jerusalem Post“ wurde: „Man kann nicht genug betonen, was es für junge Menschen bedeutet, über Nacht vom Menschen zum Unmenschen zu werden. Und in Österreich ging das viel schneller als in Deutschland. Ich frage mich nach wie vor, wie es kam, dass die schlimmsten Nazis Österreicher waren.“

Zeitzeuge Ari Rath:  „Nicht vergessen, das ist eure Pflicht!“
Zeitzeuge Ari Rath: „Nicht vergessen, das ist eure Pflicht!“ © ORF

Er verweist auch auf den November 1948, als ein hoher Politiker, von dem man eigentlich entschuldigende Worte erwartete, bei einer Gedenkfeier im Wiener Musikverein auf die Frage nach Rückholung der jüdischen Kinder antwortete: „Auch die Nazis haben viel verloren. Ich schlage also vor, dass wir das in die Länge ziehen.“ Das war Oskar Helmer, der sozialistische Innenminister. Ari Rath sieht sich als „Mensch, der keine Rache kennt“, in Österreich möchte er allerdings nicht mehr leben. Und mit dem ebenfalls bei der Präsentation im Jüdischen Museum anwesenden Wiener Stadtrat Michael Ludwig sieht er sich vor allem in einer Aufforderung einig: „Nicht vergessen, das ist eure Pflicht!“

Züge ins Leben: ORF III, 20.15 Uhr.