Smartphone-App, Website und nun die gedruckte Zeitung. Alle Plattformen wurden grafisch vereinheitlicht, während sich Inhalte stärker differenzieren. Sie haben die Kleine Zeitung in diesem Relaunchprozess beraten. Warum wurde dieser Weg eingeschlagen?
LUKAS KIRCHER: Wir sind immer öfter von digitalen Plattformen umgeben, deren hauptsächliches Ansinnen es zu sein scheint, mir Zeit zu stehlen. Da wird es für Zeitungen immer wichtiger, klar auszuschildern, dass diese ihren Lesern eine Menge an zeitraubenden Tätigkeiten abnehmen – etwa die Spreu vom Weizen zu trennen. Das tun sie auf allen Plattformen. Sie bieten Qualität mit klarem Absender, den wichtigsten Themen, guter Erklärung und Hintergrundwissen zu aktuellen Ereignissen. Das ist ein wesentlicher Punkt, der, neben einer ausgesucht intensiven Beschäftigung mit den Inhalten, auf das Design Niederschlag finden muss.
Ist es sinnvoll, einen solchen Prozess über digitale und gedruckte Medien zu ziehen?
KIRCHER: Dadurch, dass Zeitungen heute nicht mehr auf einer Plattform, sondern auf vielen verschiedenen Plattformen publizieren, muss ich klarmachen: Da steht immer ein und dieselbe Redaktion dahinter, mit demselben Qualitätsanspruch, mit demselben Versprechen, sich tagtäglich abzumühen, den Lesern nicht die Zeit zu stehlen, sondern einen Beitrag dafür zu leisten, dass sie besser verstehen, was in der Welt vorgeht, und sich dazu eine fundierte Meinung bilden können.
Mit demselben Design und denselben Inhalten?
KIRCHER: Ich kann nicht ein Design nehmen und das auf allen Plattformen ausgießen, sondern habe bestimmte Vorbedingungen: Auf dem Mobiltelefon geht es darum, kurze Zeitintervalle sinnvoll zu füllen. Beim Lesen der Zeitung ist der Leser in einer sogenannten „Laid back“-Situation, in der er sich entspannt zurücklehnt und sich ausgedehnte Analysen anschauen kann. Gleichwohl ist wichtig, dass überall die Marke – und das ist letztendlich die Redaktion – durchschimmert. Daher ist ein Aneinanderrücken der Designs so wichtig. Damit ich selbst am Smartphone das Gefühl habe: Da steht diese Redaktion dahinter, die gibt sich alle Mühe, das Ganze so einfach und intelligent wie möglich zu machen.
Sie haben FAZ und „Welt“ bei ihren Weiterentwicklungen wegweisend unterstützt, jetzt die Kleine Zeitung begleitet.
KIRCHER: Ich kam vorbelastet zu dem Projekt. Dadurch, dass ich mit der Kleinen Zeitung aufgewachsen bin, konnte ich das nie ganz neutral bewerten. Was aber ganz gut war – die Kleine Zeitung hatte immer einen hohen Sympathiefaktor. Die Kombination aus Qualitätsanspruch und regionaler Empathie ist das, was die Kleine Zeitung ausmacht. Wir haben versucht, diese besondere Mischung über die verschiedenen Plattformen und auch bei den Veränderungen des Logos evolutionär, nicht revolutionär, weiterzupflegen, um der Zeitung für die nächsten zehn Jahre Bestand zu geben und zu zeigen, es ist eine moderne Marke und eine moderne Redaktion, die da dahintersteht. Es ist aber allen bewusst, dass es eine Zeitung mit hoher Qualität ist, die aber nie elitär abgehoben war und immer verständlich bleibt. Deshalb durfte das neue Design keine komplette Neuerfindung sein. Qualität und Herzlichkeit müssen auf den verschiedenen Plattformen durchschimmern.
Wie sehr darf und muss sich eine Zeitung weiterentwickeln?
KIRCHER: Da gibt es eine Außen- und eine Innenbande. Die Innenbande, das sind Entwicklungen, in denen die Redakteure eine Revolution orten, die der Leser nicht mitbekommt. Die Außenbande, das sind jene Änderungen, bei denen man das Gefühl bekommt, das hat mit der alten Zeitung gar nichts mehr zu tun. Innerhalb dieses Spiels sind Weiterentwicklungen von Zeitungen anzusiedeln. Ich glaube, bei der Kleinen Zeitung war es eine gelungene Mischung, zumal die Chefredaktion eine kluge Vorgangsweise wählte: Man begann mit jenem Device, bei dem die Sehgewohnheiten am meisten fortgeschritten sind: dem Smartphone.
Um dann schrittweise die Plattformen zu entwickeln.
KIRCHER: Ja, über die Website kam man schlussendlich zur gedruckten Zeitung. So konnten die Leser und User über das Digitale ein Vorgefühl dafür entwickeln, wie sich auch die Zeitung entwickeln wird. Es ist enorm wichtig, dass Zeitungen tagtäglich versuchen, besser zu werden – aber nicht, damit die Leute sagen: „Das ist überhaupt nicht mehr meine Zeitung.“ Sondern um zu verhindern, dass Leser nach fünf Jahren feststellen, dass „das nicht mehr meine Zeitung ist, sondern die meiner Eltern“. Zeitungen sind kein Turnschuh, sondern eine kulturelle Einrichtung, mit der man sehr behutsam umgehen muss.
Man darf die Leser aber schon etwas herausfordern, ohne sie zu überfordern?
KIRCHER: Absolut. Es ist aber wichtig, es nicht des Designs wegen zu machen, sondern wegen der besseren Lesbarkeit, des besseren Überblicks oder des besseren Querlesens. Gutes Editorial Design ist keine Kunst der Behübschung, sondern eine Kunst der Leserführung. Die Menschen haben keine Zeit oder wollen die Zeit mit der Zeitung möglichst sinnvoll verbringen. Sie wollen Dinge, die sie interessieren, sehr schnell finden, anhand der Überschriften und anderer Hilfsmittel herausfinden, ob das der Artikel ist, mit dem sie sich die nächsten fünf Minuten beschäftigen wollen. Kluges Editorial Design ist eine kunstvolle Führung und Verführung von Menschen. Wie ein guter Kellner, der führt auch, ohne dass man sich herumkommandiert fühlt.
Eine der größeren Veränderungen neben der Titelseite ist der neue Einstieg in die Zeitung auf den Seiten 2/3. Ein kompakter Überblick zu dem, was heute wirklich wichtig ist.
KIRCHER: Wenn man das herausragend macht, ist das ein besonderes Service für den Leser. Es ist ein Angebot an die immer vielfältiger werdenden Zeitbudgets des modernen Lesers.
Ebenfalls neu ist das Ressort „Besser leben“, ein Ratgeber über die Tagesaktualität hinaus.
KIRCHER: Sie wollen ja nicht nur von Lidl, Billa und Red Bull bei Lifestyle-Themen beraten werden, sondern von einer seriösen Zeitung, die eine wichtige Ordnungsfunktion hat und sich mit ihrer Recherchekompetenz als Ratgeber zu wichtigen Themen entfalten kann. Heute sind Zeitungen ja nicht mehr die „Gatekeeper“ der Nachrichten. Es reicht heute für ein Medium nicht mehr, nur die aktuellen Nachrichten wiederzugeben und zu kommentieren, sondern Zeitungen müssen uns auch mit anderen Themen beschäftigen – da ist eine Verbreiterung des Portfolios wichtig, um weiter seine Daseinsberechtigung im Leben normaler Menschen zu festigen.
Nachrichten haben weiterhin ihren Platz in der Zeitung, mehr Raum bekommen Analysen, Hintergründe, Reportagen – eine Reaktion darauf, dass die Menschen Orientierung suchen?
KIRCHER: Die Form der Meinungsbildung hat sich extrem geändert. Wir haben heute viele Horte der Meinungsbildung ohne Nachdenken. Deswegen ist es extrem wichtig, dass gerade eine Zeitung, deren ausgewiesene Experten eine fundierte Meinung hinterlegen können, dafür entsprechend mehr Raum gibt. Die Welt wird komplizierter, die Menschen wollen Hintergründe verstehen und Meinungen bilden, die länger haltbar sind als die, die über Facebook kommen. Dafür braucht eine moderne Zeitung entsprechend mehr Platz.
Wer braucht eigentlich noch die gedruckte Zeitung?
KIRCHER: Eine Zeitung ist für mich ein inhaltliches Angebot, egal auf welchem Kanal das stattfindet. Da gab es eine große Verschiebung. Die Kollegen, die mit großer Inbrunst prognostiziert haben, dass die gedruckte Zeitung vor fünf oder zehn Jahren gestorben ist, haben unterschätzt, welchen Qualitäts- und vor allem Bequemlichkeitsfaktor eine gedruckte Zeitung für viele Leser hat. Die Darreichungsform von Zeitungen hat sich vervielfältigt. Aber die Prognose, dass die Zeitung stirbt, hat sich Gott sei Dank als zu pessimistisch herausgestellt. Wenn man gedruckte Zeitungen in der Hand hält, blinkt nicht dauernd irgendwas auf oder ein Anruf kommt herein. Eine Zeitung hat eine herrlich stoische Natur. Sie ermöglicht eine meditative Auseinandersetzung mit Inhalten, die man auf anderen Devices nicht hat. Deswegen wird es auch in Zukunft Leser geben.
Die Grundschrift der Kleinen Zeitung wurde größer, in Überschriften und Vorspännen kommt eine neue Schrift zum Einsatz, die Roboto. Warum neue Schriften?
KIRCHER: Das kommt stark aus dem Digitalen heraus. Gerade auf digitalen Plattformen gibt es enorme Austauschbarkeit. Das soll jedoch nicht so sein, weil schließlich sehr unterschiedliche redaktionelle Qualitätsansprüche dahinterstehen. Die Kleine Zeitung wählte daher eine Schrift, die mehr Charakter hat. Unter all den Schritten, die über das gesamte Portfolio gemacht wurden, ist das der größte. Den Lesern ist es allerdings viel wichtiger, dass die Texte gut zu lesen sind – und das gewährleistet die vertraute, aber größer gewordene Grundschrift.