Eine personelle und inhaltliche Neuaufstellung fordert der langjährige ehemalige Programmdirektor des ORF, Wolfgang Lorenz. Der 72-Jährige sorgt sich in einem Interview mit der Kleinen Zeitung um die Glaubwürdigkeit und Relevanz des Österreichischen Rundfunks, dem er 42 Jahre angehörte. Lorenz: „Wesentlich ist, dass sich der ORF nicht zum Verbündeten der Politik macht, sondern Verbündeter der Gesellschaft ist. Wenn das nicht passiert, wenn die Parole lautet, wir machen so weiter wie bisher, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein beliebiges Produkt auf dem Markt ist wie alle anderen auch: Dann hat er seine Funktion in der Gesellschaft verspielt. Man braucht ihn dann nicht mehr. Der ORF ist knapp davor.“
Puppentheater
Der Rundfunk sei früher einmal das geistige Leitmedium des Landes gewesen, heute sei er zum „Gleitmedium“ verkommen, weich geworden unter dem Druck der Politik“. Vor allem im Informationsbereich vermisst der Ex-Intendant Mut und Haltung: Es sei ein Fehler gewesen, die Eigenkommentare im Gegensatz zum deutschen Fernsehen komplett zu streichen. Ursache sei mangelnde Konfliktbereitschaft aus einem falschen Ruhebedürfnis heraus: „Niemand hat dort Lust, sich am nächsten Tage dafür zu prügeln, was am Abend davor gesagt wurde. Mit welcher Partei auch immer“. Es sei ein fehlgeleiteter Ehrgeiz gewesen, zum österreichischen Konsens, zu einem Klima der Verträglichkeit beitragen zu wollen, anstatt sich „unverträglich zu verhalten, indem man gesellschaftliche Zustände analysiert und sich durch Diskursbelebung möglicherweise auch selbst riskiert.“ Der Informationsbereich, früher ein Kilimandscharo im ORF, sei heute Puppentheater: „Vorhang auf für Kasperl und Hexe“.
Für Wechsel an der Spitze
Befragt zum rot-schwarzen Schaukampf zwischen Alexander Wrabetz und Richard Grasl im Vorfeld der Wahl zum Generaldirektor am 9. August spricht sich der Erfinder von Formaten wie „Donnerstagnacht“ oder „Liebesg'schichten“ für einen Wechsel an der Spitze aus: „Ich traue Grasl eine Neuaufstellung des ORF zu, und zwar dann, wenn er umsetzt, was er ankündigt: vier Direktoren als Programmdirekten für TV-Information, TV-Programm, Radio und Digital zu installieren“. Das wäre ein mutiges Zeichen, so Lorenz. Dem neu eingeführten Frühstücksfernsehen kann der frühere Programmdirektor wenig Positives abgewinnen. Lorenz: „Für 15 Millionen Euro im Jahr schrumst jetzt ein Marketender-Fernsehen durch die Gegend. Es ist zum Schreien“.