Als Werbeeinschaltung für den Einstieg in die Gastronomie ist „The Bear“ (Disney+) ungeeignet. Diese masochistische Küchen-Selbstaufopferung, angeleitet vom antreibenden und getriebenen Carmy (Jeremy Allen White), weitete in den ersten zwei Staffeln die Maßstäbe des erzählerischen Potenzials des Genres, wuchs heran zu einer der wichtigsten Serien dieser Zeit. Die Hölle in der Küche begeisterte am roten Teppich: Zehn Emmys gewann die erste Staffel, für 23 ist die zweite nominiert.
Sich gängigen Schubladen zu entziehen, mag zum Erfolg der vom Videodienst Hulu entwickelten Serie beigetragen haben. Gourmet-Fernsehen ohne Koch-Show, eine Comedy (als diese ist sie auch bei den Emmys kategorisiert), die in ihrem Kern ein großes Drama erzählt. Weshalb das Überthema die Trauer ist, wie Richie-Darsteller Ebon Moss-Bachrach bei einem Pressetermin erzählte: „Ich würde sogar sagen, dass dies eine der Stärken der Show ist und ich denke, einer der Gründe, warum sie so viele Menschen anspricht, ist, dass Trauer der Fluss ist, der durch uns alle fließt.“
Moss-Bachrach entwickelte sich in der zweiten Staffel zum heimlichen Star der Serie. Seine Figur Richie vollzog einen unter die Haut gehenden Läuterungsprozess, vom verantwortungslosen Misanthropen zum charismatischen Menschenversteher. Sein Gegenentwurf ist Carmy, ein Spitzenkoch, den der Selbstmord des Bruders von der globalen Bühne der Spitzengastronomie zurück in seine Heimat Chicago wirft. Seine Mission ist die Krisenbewältigung im Workaholic-Modus: In der ersten Staffel wird die Sandwichbude „The Beef“ vor dem Schließen gerettet, in der zweiten wird es zum Nobelrestaurant „The Bear“ umgebaut. An Carmys Seite agiert Sydney (Ayo Edebiri), die dem Wahnsinn tapfer Einhalt zu gebieten versucht.
Auf der anderen Seite Carmy, der auch in der dritten Staffel tut, was er am besten kann und nicht das, was ihm gut tut: „Er vergräbt sich wieder in seiner Arbeit und versucht, sich selbst herauszufordern. Und indem er das tut, fordert er alle um ihn herum heraus“, beschreibt White („Shameless“). Den 33-jährigen New Yorker machte die Serie endgültig zum Star, mit dem Perfektionismus seiner Figur kann er aber nicht mithalten: „Ich bin sowas von das Gegenteil. Sein Perfektionismus ist etwas, das ich an Carmy bewundere und zu übernehmen versuche – woran ich scheitere.“
Im englischsprachigen Raum, wo die dritte Staffel schon im Frühjahr anlief, waren die Kritiken durchwachsen. Von einer „großen Enttäuschung“ („The Guardian“) und Ziellosigkeit („Variety“) war zu lesen. Ein differenziertes Bild zeichnete die Kritik der „New York Times“: Die Serie verliere zwar einen halben Küchen-Stern, die meisten anderen Serien würden aber ohnehin nur Cheeseburger servieren.