Finanzielle Nöte, zerplatzte Träume, nächtliche Verrenkungen an der Strip-Stange: eigentlich hätte sich Liza Drake (Emily Blunt: überzeugend) ihr Leben komplett anders ausgemalt. Zwischen Auseinandersetzungen mit ihrer rebellischen Tochter und gesundheitlichen Problemen hat sie langsam genug vom Pein des Alltags. Ausgerechnet eine Begegnung im Nachtclub ist es, die für die alleinerziehende Mutter lebensverändernd sein sollte - im Guten wie im schlechten Sinne. Basierend auf einem New York Times-Artikel, erzählt „Harry Potter“-Regisseur David Yates in seinem Film „Pain Hustlers“ vom turbulenten Werdegang eines Vertriebsgenies, das über Gewissensbisse auf den rechten Weg zurückfindet.
Vom Nachtlokal ins Millionengeschäft der Pharmariesen
Beeindruckt von ihrem Temperament, bietet Pete Brenner (Chris Evans emanzipiert sich von seinem Marvel-Image), Mitarbeiter eines Start-Ups, der Tänzerin einen Job an. Ihr charismatisches Auftreten soll dem Unternehmen im Vertrieb eines Schmerzmittels helfen. Im Gegenzug verspricht der hinterhältige Pharmavertreter ein Leben in Saus und Braus, befreit von den Strapazen vergangener Tage. Und zu Beginn scheint alles wie am Schnürchen zu klappen: mit ihrem Charme bezirzt Liza die Welt der Medizin und macht den Stoff salonfähig. Firmengründer Dr. Jack Neel (ein cartoonhaft schelmischer Andy Garcia) ist das aber lange nicht genug. Um die Verkaufszahlen weiter in die Höhe zu treiben, sollen Ärztinnen und Ärzte dazu angestiftet werden, das Medikament in möglichst hohen Dosen zu verschreiben. Nach einer Zeit, als der anfängliche Adrenalinrausch nachlässt, wird Liza das gefährliche Suchtpotenzial der selbstpropagierten Droge bewusst.
Die amerikanische Opioidkrise hat es Film- und Serienmachern in letzter Zeit wohl angetan. Nur wenige Monate nach dem Mehrteiler „Painkiller“, die sich mit dem Machenschaften der berüchtigten Sackler-Familie befasste, macht Netflix diese Epidemie und ihre geldverrückten Drahtzieher erneut zum Kernthema. Wenn auch aus einem weniger funktionierenden Blick- und Erzählwinkel. „Pain Hustlers“ ist zur Hälfte Drama, zur Hälfte Mockumentary. In fiktiven Interviews, aufbereitet in klassischer „Talking Heads“-Manier, lässt der Film seine Protagonisten selbst zu Wort kommen. Liza wird zur (mehr oder weniger verlässlichen) Erzählerin. Die semidokumentarische Aufbereitung tut der Erzählung aber wenig Gefallen. Zu wirr springt man zwischen einem klassischen Biopic-Narrativ und dem vierte Wand durchbrechenden Überbau hin und her- reißerische Stilmittel lassen nur bedingt über fehlenden Fokus hinwegsehen. Zumal die Wandlung der Protagonistin von der geldhungrigen „Drogenhändlerin“ zur moralisch handelnden Whistleblowerin zu oberflächlich, ja zu unglaubwürdig skizziert wird. Schade, die brisante Geschichte und der bemühte Cast hätten sich eine bessere Umsetzung verdient.
Christian Pogatetz