Die Liegestühle stehen parat. Denn Warteschlangen vor dem Karikaturmuseum in Krems sind keine Seltenheit. Erst recht in Pandemiezeiten. 2021 hat das Haus mit dem freundlichen Gesicht auf der Fassade, als hübsche Anspielung gegenüber der Justizanstalt Stein, allen Grund zum Jubeln - es ist ein richtiges Jubiläumsjahr. Gefeiert wird u.a. das 20. Jubiläum des einzigen Satiremuseums im Land, das nach den Entwürfen von Gustav Peichl alias Ironimus umgesetzt wurde.

"Und aus diesem Anlass wollen wir unsere Sammlung mit mehr als 7000 Originalwerken auch herzeigen", sagt Direktor Gottfried Gusenbauer, der das Haus seit 2021 leitet. Der Schwerpunkt der Karikatursammlung ist damit die größte ihrer Art in Österreich und sie beinhaltet neben den Cartoons von Manfred Deix und Werken von Ironimus auch große Teile des Nachlasses von Erich Sokol und der Sammlung Ludwig Fotters. Die Schau "Schätze aus 20 Jahren" rückt politische Karikaturen und Bildgeschichten in den Fokus, die ihre Finger in die offenen Wunden politischer Verdrängung der Nachkriegsgeschichte, populistische Parteipolitik oder andere brennende gesellschaftspolitische Fragen rücken. Ein wunderbarer Rückblick auf die Höhen und die vielen tiefen Abgründe österreichischer Nachkriegsgeschichte – inklusive Wiedersehen mit den Politikern Kreisky, Klestil, Haider oder Steger und einer Parteienlandschaft, die heute doch deutlich bunter ist als Anfang der 1980er.

"Au-Demo", Erich Sokol, 1989
"Au-Demo", Erich Sokol, 1989 © Annemarie Sokol

Auch herausragenden Arbeiten wie „Au-Demo" von Erich Sokol aus dem Jahr 1988 oder Erich Eibls "Der Schilling-Hai" aus demselben Jahr finden sich in der Übergangsschau. Beschlossen wird mit dem Pandemiejahr 2020 und Arbeiten von Kleine Zeitung-Karikaturist Petar Pismestrović und seinem Porträt des Gesundheitsministers Rudolf Anschober oder dem köstlichen Tusche-Aquarell "Impf(pf)licht" von Thomas Wizany ("Salzburger Nachrichten"), auf dem am Ende des Tunnels ein nackter Hintern zu sehen ist, in dem eine Spritze steckt.

"Wen wählt man da am besten?", Manfred Deix, 2007
"Wen wählt man da am besten?", Manfred Deix, 2007 © Deix

Eine eigene Wand erinnert an den 2016 verstorbenen gnadenlosen „Zumpferlkaiser“ Manfred Deix, der wie kein anderer dazu beitrug, das Gemütlichkeitsgen Österreichs schamlos und provokativ mit jedem Strich auszustellen. "Karikatur ohne Bissigkeit, Drastik, Schärfe ergibt für mich keinen Sinn." Dieses Zitat von ihm prangt über seinen Arbeiten. In vielen Laden kann man sich durch seine Sicht auf die letzten Jahrzehnte kramen. Und hinter jedem Auszug verbirgt sich ein Schatz. Einer, der heute eventuell nicht mehr so abgedruckt werden würde. Wie sehr Deix in den letzten Jahre fehlte, auch das ist eine Erkenntnis der kleinen, feinen Jubiläums-Schau.

"Letzter Stempel", Gerhard Haderer, 2000
"Letzter Stempel", Gerhard Haderer, 2000 © Gerhard Haderer

Gerhard Haderer, dessen Cartoons im Sonntagsmagazin in der "Kleinen Zeitung", den "Oberösterreichischen Nachrichten", "Stern", "Profil" und vielen anderen Publikationen erscheinen, ist ein Exkurs gewidmet. Zu sehen sind Werke aus den Landessammlungen Niederösterreich. Seine meist in Acryltusche ausgefertigten Arbeiten halten Österreich bissig und tragikomisch den Spiegel vor. Und wie! Schon die Titel sind kleine Kunstwerke für sich. "Quotenfrauen" oder "Wohnlandschaft mit Pferdekopfpolster" oder "Letzter Stempel" mit dem herrlichen Vermerk "Sturheit währt am längsten" auf der Arbeit über einen Schalter am Magistrat verweisen auf Amtsschimmel und andere angeschimmelte Patriotismen. Die Bilder sind wie eine begehbare Chronik des Landes: neben der repräsentativen Politikerparade wie die einst Regierenden Wolfgang Schüssel und Josef Pröll jr. in "Clever und smart" oder Bischof Kurt Krenn seziert Haderer auch Alltagskultur wie die Millionenshow und die dargestellte  Nichtkenntnis eines Geistlichen am Ratestuhl über den Islam wie den Lockdown und "Ausgelassene Feier unter Facebookfreunden". Mit einer Dose, die angeblich Flügel verleiht.

"Letzter Konditionstest vor Ferienberginn", Gerhard Haderer 1992
"Letzter Konditionstest vor Ferienberginn", Gerhard Haderer 1992 © Gerhard Haderer

Haderer, dessen Werke von Anfang an in Krems ausgestellt waren und nach wie vor nichts an ihrer Bissigkeit eingebüßt haben, feiert heuer im Mai ebenso ein rundes Jubiläum - seinen 70. Geburtstag. Einblick bekommt das Publikum auch in die Gedankenwerkstatt Haderers. Die Vorskizzen verdeutlichen, wie viel Planung und Genauigkeit in seinen Arbeiten stecken.

Ein anderer Exkurs in diesem Jubiläumsjahr ist Janosch gewidmet, der dieser Tage seinen 90er begeht. Hinter dem Pseudonym des Erfinders von Tigerente und Co. steckt der deutsche Illustrator und Autor Horst Eckert.

Haderers Schau ist ein gewichtiger Teil der Ausstellung "Volltreffer! Satirische Meisterwerke aus der Sammlung Grill". Diese zeigt, wie vielfältig in Ausdruck, Technik, Humorschattierung und Genre Satire sein kann. Die ausgestellte Schau des bayerischen Sammler- und Societypaares Meisi und Helmut Grill, das von vielen Karikaturisten auch in ihren Arbeiten liebevoll gewürdigt wurde, ist so etwas wie eine Einführung in die Satire zwischen Bayern und Wien. 200 Arbeiten von 42 Künstlerinnen und Künstlern - u.a. Loriot, Paul Flora, Tatjana Hauptmann, dem New Yorker Star Jean-Jacques Sempé oder Michael Sowa (seine Schweinelampe wurde im Film "Amelie" berühmt) sind in einer detailreichen Schau zusammengefasst. Ihre Anfänge unternahmen die Grills mit einem Kuriositäten-Shop: Fundstücke wie der "Orden für absolut gar nichts" oder das Handtuch "Ein Quadratmeter Freistaat Bayern" sind in einer Vitrine ausgestellt. Ein "Höhepunkt", so der Direktor, sei sicher das Gemälde "Der kleine Beamtenapparat" von Hans Reiser mit seiner Darstellung von Amtsschimmel oder Maulwurf.

"Amazone und bayerischer Satyr", Hans Reiser
"Amazone und bayerischer Satyr", Hans Reiser © Sammlung Grill

Die männliche Dominanz ist hier wie dort ominpräsent. "Es dürfte sich um tradiertes Verhalten handeln. Es war jahrhundertelang Männern vorbehalten, am Wirtshaustisch aufzustehen und sich zu äußern", wagt Gusenbauer eine Erklärung. Aber: "Wir arbeiten dagegen an." Und: Im Bereich der Comic-Kunst und Graphic Novels seien Frauen stärker vertreten als in der klassischen Zeitungskarikatur. Außerdem: Ab 14. November sind in Krems mit "Christine Nöstlinger und ihre Buchstabenfabrik" die Illustrationen der Autorin und ihrer Tochter zum Kinderbuchklassiker "Die feuerrote Friederike" zu sehen.