Nicht nur Dürer-Experten, wissen wie der Hase läuft. Die übliche Laufstrecke schaut für gewöhnlich so aus: ohne viel Haken zu schlagen mit einem Affenzahn in Richtung Rekord. 2003 lief die letzte Dürer-Schau in der Albertina, an die 430.000 Besucher zählte man damals. 16 Jahre und die Etablierung der Aufmerksamkeitsmaschine Social-Media später, darf Hausherr Klaus Albrecht Schröder für die neue Schau (ab heute bis 6. Jänner) ziemlich sicher mit einem Besucherrekord rechnen. Dürer zahlt sich immer aus und das liegt nicht nur am wohl berühmtesten Tier der Kunstgeschichte, das eines der rund 200 gezeigten Werke zeigt. Für gewöhnlich ist der mehr als 500 Jahre alte Hoppler aus konservatorischer Sicht an eine strenge Stallorder gebunden. Gleiches gilt für sein natürliches Habitat, auch „Das große Rasenstück“ scheut das Tageslicht.
Ausstellungskritik
Und doch sind diese Ikonen der Kunstgeschichte nicht das alleinige Zugpferd – es ist der Maler selbst. Heute würde man ihm Bezeichnungen wie Innovator oder Entrepreneur umhängen. Falsch wäre das nicht, der Nürnberger (1471-1528) wurde auch Zeuge eines Klimawandels. Mit einem Unterschied: Die Luft wurde nicht dünner, vielmehr war es ein gesellschaftliches Durchatmen. Die Renaissance löste das dunkle Mittelalter ab. Das mag jetzt Hunderte Jahre her sein, doch das Leben von Dürer zeichnet eine Entwicklung gut nach, die zeitlos ist: Eine Gesellschaft im Umbruch und Dürer ist nicht nur ihr Chronist, sondern beeinflusst sein Umfeld maßgeblich mit. Seine Werkzeuge: Unbändige Neugier, Bildungshunger und Reisen – unter anderem zwei Mal nach Norditalien, dem damaligen Silicon Valley der Kunst. Vielleicht ist Dürer deshalb aktueller denn je, weil er sich mit wachem Auge und ohne Angst einem Umbruch stellt.
Dieses wache Auge hat er schon als Jugendlicher und das dazugehörige Bild ist nicht umsonst eines der ersten der Schau: Es zeigt ihn mit 13 Jahren – ein Selbstporträt, eines der wichtigsten der Kunstgeschichte. Es mag eine flüchtige Skizze mit Silberstift sein, aber es ist dennoch ein Bild für die Ewigkeit. Kein flüchtiges Festhalten von sich, kein zwanghaftes Verorten in einer flüchtigen Zeit in Selfie-Manier. Für Dürer war es ein Sich-selbst-Erkennen. Eine Bewusstwerdung der eigenen Person. Die Grundlage jeder persönlichen Weiterentwicklung.
Zeit seines Lebens wird er sich selbst porträtieren – auch, um möglichen Kunden sein Talent zu zeigen. Nicht zu vergessen sein rätselhaftes „Selbstbildnis im Pelzrock“ um 1500, das ihn selbst in der „Christus-Pose“ zeigt. Ein Bild, das nach allerfeinster Popkultur-Manier auch das äußere Erscheinungsbild prägte, das wir mit Christus assoziieren. Da hilft es nichts, dass sich der Künstler sich hier nicht als Christus ausgibt, sondern sich in der Rolle des göttlichen Künstlers sieht. Doch Dürer ist in seinen Selbstbildnissen auch schonungslos, er zeigt Verfall und Vergänglichkeit – ungeschönt.
Vielleicht hat ihn auch deshalb Zeit seines Lebens eine Frage beschäftigt, die auch heute noch aktuell ist: Die Suche nach der Schönheit. In unzähligen Proportionsstudien versuchte er dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, um zur Erkenntnis zu gelangen: „Was die Schönheit ist, das weiß ich nicht“. Auch ein Genie kann einmal scheitern.