"Suche Freiwillige für gefährliche Reise. Niedriger Lohn, bittere Kälte, lange Stunden in völliger Finsternis garantiert. Ehre und Anerkennung nur im Fall des Erfolges". Eigentlich müsste man glauben, dass sich auf diese Anzeige aus dem Jahre 1907 keiner gemeldet hat. Doch der irische Abenteurer Sir Ernest Henry Shackleton konnte sich kaum vor Bewerbern für seine Antarktis-Expedition retten.
Dabei handelt es sich bei der Antarktis um den kältesten, windigsten, einsamsten und entlegensten Flecken der Erde. 110 Jahre nach Shackletons mythischer Reise kam es nun zu einem neuen Antarktis-Abenteuer, einem Kunst-Abenteuer. Ausgerechnet hier im ewigen Eis führte der russische Künstler und Philosoph Alexander Ponomarev einen der wohl außergewöhnlichsten Kunstevents durch - die erste internationale Antarktis-Biennale.
Inspirationsquelle
Der heute 60-Jährige war schon viele Male in der Antarktis. Erst als Matrose der russischen Marine, später als Künstler. In U-Booten der Tango-Klasse durchkreuzte er während des Kalten Kriegs die Polarmeere. "Die Ozeane und die Antarktis sind mein Leben, und ich glaube, Künstler müssen diesen Ort kennenlernen. Es sind Orte, die inspirieren, die Menschen verändern", meint Ponomarev im APA-Gespräch.
Er hat das Meer und die Schifffahrt immer wieder selbst in seinen Werken verarbeitet. 2009 kam er zur Venedig-Biennale durch den Großen Kanal sogar im eigenen Kunstwerk, einem selbst gebauten U-Boot. Auf den Dünen der Sahara baute er das vor einigen Jahren gestrandete Costa-Concordia-Kreuzfahrtschiff nach. Und nun die Antarktis-Biennale.
Zwischen Walen und Pinguinen
Ponomarev will sie aber als ein Kunstexperiment sehen, eine Art Anti-Biennale. Er will vor den festen Biennale-Strukturen fliehen. "Kunst ist heuer zu sehr eingezwängt und institutionalisiert. Ich wollte den Künstlern eine Gelegenheit geben, Kunst jenseits politischer und kommerzieller Zwänge, jenseits ihrer Ateliers und der üblichen Kunstmessen und Biennalen zu machen. Hier in der unberührten Natur der Antarktis, zwischen Walen und Pinguinen, einem Ort, frei von politischen und gesellschaftlichen Zwängen", so Ponomarev.
Über 500 Bewerber
Wie der irische Abenteurer Shackleton 1907 hatte auch Ponomarev als eine Art "Shackleton der Kunst" kaum Probleme, Bewerber für sein antarktisches Kunstabenteuer zu finden. Es ist die Sehnsucht nach der Ursprünglichkeit, dem Abenteuer, dem Wunsch nach einem Ort, der noch nicht von den Menschen verseucht ist. Es sind die Naturwunder und der Mythos Antarktis, der über 500 Künstler aus aller Welt antrieb, sich für einen einzigen Platz im Open Call zu bewerben.
Vergangene Woche stieß Ponomarev schließlich mit fast 20 Künstlern aus den verschiedensten Teilen der Welt und einem Heer von Philosophen und Wissenschaftern zu seiner experimentellen Kunstexpedition in See. Sie kamen aus China, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Deutschland, Argentinien, Indien, Japan, Kanada, Spanien, England, Bangladesch, der Schweiz, Marokko, Frankreich, Russland, Ecuador und Brasilien. Zehn Tage lang fuhren sie die Küste der Antarktischen Halbinsel entlang und realisierten zwischen Pinguin-Kolonien, Robben und Eisbergen mehrmals täglich bei Landgängen ihre Kunstprojekte, Installationen und Performances.
Wind und Wetter
Ernst Shackletons Reise missglückte, doch alle überlebten. Auch auf der ersten Antarktis-Biennale ging einiges schief. Einige Projekte fielen den strengen Umweltauflagen zum Opfer, andere den Naturgewalten und Wetterbedingungen. Doch wie Shackletons Reise zu einer der bekanntesten Abenteuergeschichten der Welt wurde, dürfte auch die erste Antarktis-Biennale in die Annalen eingehen - oder auch nicht.
Das Ergebnis wird schon bald zu sehen sein. Im Mai werden die in der Antarktis geschaffenen Werke zum Teil auf der Biennale in Venedig in einem eigenen "Antarktis-Pavillon" ausgestellt. Danach gehen sie auf einer internationalen Museentour nach New York, Moskau, Japan, Paris, Madrid, Buenos Aires, London und in weitere Städte.
Doch was ist die Hinterlassenschaft? "Das werden wir noch sehen. Es geht darum, eine interdisziplinäre Plattform zu schaffen, die neue Kunstformate bietet", sagt Ponomarev. "Und wer weiß, vielleicht mache ich meine nächste Biennale auch nicht in der Antarktis, sondern in der Arktis oder in Grönland. Mobilis in Mobile", zitiert der Kunst-Shackleton Jules Vernes Kapitän Nemo.