Ein Gemälde von Egon Schiele, das in den 1990er-Jahren versteigert wurde, hielt im Auktionshaus im Kinsky viele Jahre den Versteigerungsrekord: 45 Millionen Schilling war das Gemälde „Mädchen“ (1917) dem Schiele-Sammler Rudolf Leopold damals wert. Heute wären das rund 3,2 Millionen Euro. Diese Marke wurde am Mittwoch zwar deutlich überboten, aber das Ergebnis ist dennoch enttäuschend: Zwischen 30 und 50 Millionen Euro waren für „Bildnis Fräulein Lieser“ erwartet worden, eine Summe von rund 70 Millionen Euro durchaus möglich. Letztlich blieb das Werk deutlich unter den Erwartungen: Bei 30 Millionen Euro erfolgte der Zuschlag – bei einem Ausrufepreis von 28 Millionen Euro. Mit dem Aufgeld, also der Prämie, die der Käufer an das Auktionshaus bezahlt, bezahlt der Käufer rund 35 Millionen Euro. Das Bild geht nach Hongkong, der Bieter will anonym bleiben.
Das Bild bleibt also weit unter dem Wert des aktuellsten teuersten Bildes Europas: Im Juni des Vorjahres wurde „Dame mit Fächer“, ein weiteres der vier unvollendeten Gemälde, bei Sotheby’s in London um 86 Millionen Euro versteigert. Der aktuelle Rekord für ein Klimt-Gemälde liegt bei rund 140 Millionen Euro, Oprah Winfrey hat 2016 „Adele Bloch-Bauer II“ an einen chinesischen Sammler verkauft. Dorthin geht auch das „Bildnis Fräulein Lieser“, wie Geschäftsführer Ernst Ploil nach der Auktion im Livestream des Auktionshauses bekannt gab. Zwar hätte es mehrere Interessenten gegeben, die aber dann abgesprungen seien. Am Ende bekam eine „renommierte Hongkonger Sammlung“ den Zuschlag. Im Vergleich zu internationalen Auktionsergebnissen „ein Schnäppchen“, so Ploil. Für einen Auktionsrekord in Österreich und das Auktionshaus Kinsky reicht es dennoch locker. Den bisherigen Rekord hielt das Gemälde „Der Mensch, der sich zwischen Tugenden und Lastern entscheiden muss“ von Frans Francken II: Es wurde 2010 um 7,022.300 Euro verkauft.
Bevor das Gemälde „Bildnis Fräulein Lieser“ in Wien versteigert wurde, ging es auf eine Weltreise: Es wurde in London, Genf, Zürich und Hongkong gezeigt. Danach war es neun Tage lang im Palais im Kinsky zu sehen: Rund 15.000 Besucher wollten das Spätwerk von Gustav Klimt in natura sehen, wie Auktionator und Im-Kinsky-Geschäftsführer Michael Kovacek vor der Auktion bekannt gab. Fix ist, dass das „Bildnis Fräulein Lieser“ in der nächsten Woche am Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag (jeweils von 10 bis 17 Uhr) noch einmal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Was Expertinnen und Experten bislang nur als Schwarzweißfoto kannten, hing Jahrzehnte in einem österreichischen Privathaushalt. Die Präsentation des Bildes Ende Jänner war eine Sensation: Das Gemälde ist eines von mehreren Werken, die Gustav Klimt (1862-1918) noch in Arbeit hatte, darunter „Dame mit Fächer“, „Adam und Eva“, „Amalia Zuckerkandl“, aber auch das „Bildnis Fräulein Lieser“. „Kunsthistorisch ist das Bild eine totale Sensation“, schwärmte Klimt-Kenner Tobias Natter, der 2012 ein Werkverzeichnis von Gustav Klimt erstellt hat, kurz nach der Präsentation im Gespräch mit der Kleinen Zeitung: „Eine faszinierende Koloristik. Da steht die junge Frau vor diesem leuchtend orangen Hintergrund und einer wunderbaren Stola aus Blumenelementen – das vermittelt einen unglaublich modernen Eindruck, den man Klimt eigentlich gar nicht zutrauen würde. Aber dieses Bild lässt uns den späten Klimt in einem neuen Licht erscheinen“.
Im-Kinksy-Chef im Interview
Bis heute ist final nicht geklärt, wer hier porträtiert wurde. Seit den 1980er-Jahren gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass Margarethe Constance Lieser, Tochter des Industriellen Adolf Lieser, abgebildet ist. Und doch würden auch zwei weitere junge Frauen aus der Lieser-Familie infrage kommen: Helene und Annie, Töchter von Justus Lieser und Henriette Amalie Lieser. Dass es Helene oder Annie sein könnten, wurde vom Auktionshaus Kinsky nach deren Recherchen für die Auktion ins Spiel gebracht. Eine These, der nicht alle Expertinnen und Experten etwas abgewinnen können. Völlig ungeklärt ist, wo das Gemälde während der NS-Zeit war und wie es danach in den Kunsthandel gekommen ist. Vorsorglich hat sich das Auktionshaus mit möglichen Lieser-Erben auf eine Aufteilung des Verkaufspreises geeinigt. Ebenso vorhanden ist eine Ausfuhrbewilligung des Bundesdenkmalamtes, das Gemälde kann demnach Österreich verlassen.