Der steirische herbst biegt in die Zielgerade. Morgen endet die zweite Ausgabe der Intendanz von Ekaterina Degot. 43.000 Besuche verzeichnete das heuer unters Motto „Grand Hotel Abyss“ gestellte Festival bisher, 2000 weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, „aber wir sind optimistisch, dass wir die gleichen Zahlen wie 2018 erreichen werden“, versichert der kaufmännische Leiter Dominik Jutz. Bemerkenswert: 2300 Besucher nahmen an Kulturvermittlungsprogrammen teil, darunter etliche Schulklassen, aufgrund der hohen Nachfrage musste das Angebot sogar auf 130 Stunden erhöht werden.

Insgesamt punktete dieser herbst bei den Jungen: Lauter einer Befragung durch FH-Studenten bildeten Unter-35-Jährige die größte Besuchergruppe. 80 Prozent der Gäste kamen aus Österreich, elf Prozent aus Deutschland, vier Prozent aus Slowenien – etwa in Shuttlebussen aus Ljubljana. Und: Vom im Vorjahr eingeführten Festivalpass wurden heuer fast 2500 Stück (2018: 2000) ausgegeben. Wohl auch an die 450 Medienvertreter aus 26 Ländern, die sich für diesen herbst akkreditiert hatten. Besonders stolz ist Intendantin Degot auf die 35 Auftragswerke dieses Jahres: Neu- und Eigenproduktionen zu ermöglichen, die internationale Vernetzung zu stärken und neue Künstlerinnen und Künstler zu holen sei der „konsequent und kompromisslos“ verfolgte Kurs. Das brauche Spielraum, Mut, Respekt, Offenheit, „von uns, aber auch vom Publikum und von den Medien“. Die (auch in der Kleinen Zeitung geäußerte) Kritik am Festival werde man ernst nehmen, versprach sie; aber „eine Fixierung auf Leuchtturmprojekte und Sichtbarkeit in der Stadt finde ich fragwürdig. Ich möchte kein passives Publikum, das nur anschaut, sondern ein aktives, das reflektiert. Keine Meisterwerke, sondern Diskussionen etwa über Gegenwart und politische Vergangenheit.“ Warum das eine das andere ausschließen sollte, sagte sie nicht.

Die „politische, soziale, intellektuelle Veränderung“, die sie nach Graz bringen wolle, sei aus ihrer Sicht jedenfalls in Gang gebracht, resümiert Degot. Vorerst nicht verändert hat sich die Architektur des dreieinhalbwöchigen Festivals. Bei der Vorjahresbilanz war angekündigt worden, man wolle künftig darauf achten, dass das Festival zur Mitte hin nicht an Schwung verliere. Dass das 2019 eingelöst worden wäre, kann man nicht gerade sagen. Aber 2020 ist ja nicht mehr weit. Nächstes Jahr dauert das Festival von 24. September bis 18. Oktober.

Kommentar: Eine Frage der Gewöhnung

Ekaterina Degots zweiter herbst geht zu Ende;den Anspruch, das Festival grundlegend zu verändern, hat die Intendantin eingelöst. Ein kluges Motto, das die örtliche Genusskultur in Frage stellt, ist dafür ein genauso interessanter Ausgangspunkt wie die Idee eines Ausstellungsparcours’, der zugleich als Narrativ über die Stadt fungiert. Und dass Degot im Bestreben, neue Künstler zu holen, auf Ecken Europas fokussiert hat, die von hier aus bisher weniger ausgeleuchtet wurden, hat Begegnungen mit Künstlern wie Jasmina Cibic, Giorgi Gago Gagoshidze, Artur Zmijewski, Blanka Rádóczy oder Andrei Stadnikov ermöglicht. Gut so!
Weniger gut: Dass der steirische herbst nun mehr Ausstellungsreihe mit Zusatzprogramm als Festival ist. Da fehlt die Zusammenkunft.
Gar nicht gut: Dass Degot angesichts von Kritik darauf beharrt, den herbst früherer Jahre als Frontalprogramm für bürgerliche Schöngeister misszuverstehen, dem erst ihre Art der Programmierung Leben – im Sinn von Reflexion und Diskussion – eingehaucht hat.
Dabei ist der herbst seit jeher Angebot zur Auseinandersetzung, auch zur Kontroverse, zum gemeinsamen Nachdenken über Kunst, Gesellschaft,Gegenwart. Nur halt bisher mit, jetzt ohne Ereignisbogen. An diese neue Art der Festivalgestaltung muss man sich nun also gewöhnen. Ganz einfach wird das nicht.