„Ich hatte niemanden, ich bin allein, ich will nirgends anders hin ... und ich brauche keinen Flüchtlingsstatus, nichts. Ich will nach Hause, das ist alles.“ Die 72 Jahre alte Rentnerin Vera Derewjanko aus dem ostukrainischen Pryluky haust seit Monaten in einem moldawischen Flüchtlingslager. Weg will sie von dort nicht, um der Heimat nahe zu bleiben. Im Lager schreibt sie Gedichte: „Sie wissen, warum sie schießen, aber ich weiß nicht, warum mich die Kugel treffen sollte.“ Der Widerstandsgeist der Seniorin tränkt jede Szene des zwölfminütigen Videos „Vera heißt Glauben“, das Pavel Brila Anfang des Jahres mit Derewjanko gedreht hat.

Der Film ist das jüngste Werk einer beeindruckenden Videoserie, die Mirela Baciak und David Riff für die Ausstellung „Ein Krieg in der Ferne“ kuratiert haben. Die Schau versammelt Arbeiten, in denen sich sieben ukrainische Künstlerinnen und Künstler mit der Lage und Geschichte ihres umkämpften Landes auseinandersetzen. Damit dient die Ausstellung auch als deklarierter „Prolog“ für ein gleichnamiges, weit umfangreicheres Projekt, das in Kooperation mit der Neuen Galerie als zentrales Projekt im steirischen herbst gezeigt wird. Für die Großausstellung, die Werke aus der Sammlung der Neuen Galerie mit zeitgenössischen und neu beauftragten Arbeiten zum Thema Krieg konfrontieren will, wird ab 22. September nach etlichen Jahren gar der repräsentative Museumseingang in die Neutorgasse wieder aufgesperrt.

Wohl auch als Symbol für den umfassenden Zugang, den man mit der Schau dann für „die Spuren ignorierter Kriege, verborgener Geschichten und unterdrückter Konflikte“ schaffen will, wie herbst-Intendatin Ekaterina Degot ausführte. Der „Prolog“ bereitet dafür das Feld auf: In den zwischen Avantgarde und Aktivismus angesiedelten Filmen von Künstlerinnen und Künstlern wie Zoya Laktionova, Philip Sotnychenko, Mykola Ridnyi, Dana Kavelina sind die historischen und politischen Voraussetzungen für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sichtbar gemacht.

Ein Krieg in der Ferne: „Die umkämpfte Ukraine in Videokunst und Film“. Eröffnung, 1. Juli, 19 Uhr. Artist Talks ab 13 Uhr, Podiumsdiskussion ab 17 Uhr, Neue Galerie Graz.