Sie sind die beiden letzten Stücke aus der Feder von Johann Nestroy und wurden binnen eines Monats uraufgeführt: „Frühere Verhältnisse“ und „Häuptling Abendwind“ erzählen sehr unterschiedliche Geschichten und passen trotzdem zusammen: Im ersten Stück, das in einem privaten Haushalt spielt, haben die Leute Angst davor, wie andere sie sehen (könnten), im zweiten geht es um ein politisches Gipfeltreffen, angetrieben von der Angst vor dem Anderen. Gemeinsam haben sie die satirische Überzeichnung und Schärfe, mit der Nestroy gerne auf die „Unten“ und die „Oben“ geblickt hat.

Regisseur Dominique Schnizer verpasst den beiden Stücken eine Klammer: Er gewährt anfangs einen kurzen Blick auf die Abendwind-Szenerie und stellt dann den Bären, der dort eine wichtige Rolle spielt, im Bühnenbild von „Frühere Verhältnisse“ in die Ecke. Im Biedermeier-Ambiente, das durch einen Zwischenraum auch hinter die Fassade blickt (Bühne: Christin Treunert) beweist das wandlungsfähige Ensemble, dass es Nestroys kunstvolles Wienerisch bestens beherrscht – im ersten Teil noch dazu in einem atemberaubenden Tempo, das hohe Konzentration auch vom Publikum verlangt. Rasant und gagreich geht es durch das Verwirrstück rund um Sein und Schein: Die hochgeborene Frau (schön blasiert: Magda Kropiunig) des reichen Holzhändlers (Gerald Votava) soll nicht erfahren, dass ihr Mann einst Hausdiener war. Blöd nur, dass ausgerechnet sein früherer Chef (schlitzohrig-resolut Christoph Krutzler) bei ihm als Hausknecht anheuert und ihn nicht nur erpresst, sondern auch eine Vergangenheit mit der neuen Köchin hat. Gerti Drassl zeigt ihre große komödiantische Bandbreite als herrlich resolute „Peppi“, die von der Küche einst selber auf die Theaterbühne gewechselt hat – und trotz eher mäßigen Erfolgs und Rückkehr an den alten Arbeitsplatz selbstbewusst über ihre frühere Karriere u.a. als Brecht-Darstellerin sagt: „So eine Courage brächt‘ eine Drassl nicht zusammen.“

Fast hellsichtig-politisch wird es im kurzweilig-grotesken zweiten Teil, in dem Häuptling Abendwind (Rudi Widerhofer mit komischer Würde) bei einem Gipfeltreffen mit Häuptling Biberhahn (Krutzler) dessen Sohn Arthur (Votava) beim Festmahl serviert, in den sich zuvor seine Tochter Atala (Drassl) verliebt hat. Nestroy, der den Kolonialismus und den aufkommenden Nationalismus verabscheute, steckt die Fremden kurzerhand in den Kochtopf und macht sich über das „Bollwerk der Heimatliebe“ gründlich lustig. Bei Schnizer liegt die Insel in der carinthisch-karibischen Südsee, Kannibalismus ist Teil der Leitkultur und Remigration das Ziel der Häuptlinge. Von der Signa-Pleite bis zu Sebastian Kurz wird Aktuelles intelligent in die Groteske eingebaut, die auch musikalisch großen Spaß macht – die Live-Musik von Bernhard Neumaier verknüpft Anklänge vom Radetzkymarsch über Roland Kaisers „Dich zu lieben“ bis zu Offenbachs „Can Can“ (herrlich übrigens, wie Gerti Drassl da die Beine wirft).

Ein vom Publikum heftig beklatschter Abend mit Tempo und pointierten Witz, der auch (dank Programmheft) daran erinnert, was schon Karl Kraus über Nestroy sagte: „Auf seinen liebenswürdigen Schauplätzen beginnt es da und dort zu tagen, und er wittert die Morgenluft der Verwesung. Er sieht alles das heraufkommen, was nicht heraufkommen wird, um da zu sein, sondern was da sein wird, um heraufzukommen.“