Immer mehr Bands, Musikerinnen und Musiker beziehen sich neuerdings wieder auf den Spirit der Revolution im Jazz der sechziger Jahre, die nicht nur ästhetisch, sondern auch politisch wirkte. Ganz vorne spielt da der Saxophonist James Brandon Lewis mit. Er ist 2018 am Begräbnis von Freejazz-Pianist Cecil Taylor aufgetreten und zitierte ihn bei seinem ersten Kärntner Konzert 2021 in Villach: „Each man is his own academy“. Jede/r sei für seine eigene Ausbildung zuständig und habe die Aufgabe, das Spezielle in sich zu finden. Manchmal wisse er nicht einmal, was das sei. Brandon Lewis hat es gefunden, kann es als Autor auch benennen und setzt es in unterschiedlichsten Ensembles ein: spirituell im Duo mit Alexis Marcello, brachial im Trio mit Bassist Shahzad Ismaily und Drummer Ches Smith (letzten Sommer auf Burg Finkenstein), schließlich diesmal frei alle Tradition transzendierend, voller Empathie im erprobten Quartett mit Pianist Aruán Ortiz, Bassist Brad Jones und Drummer Chad Taylor.

Aruán Ortiz
Aruán Ortiz © Michal Novak/universal

Während Lewis die politische Dimension der revolutionären Entwicklungen der Sechziger bisher eher links liegen ließ, hat sein Pianist, der kubanischstämmige Aruán Ortiz, gerade bei Clean Feed ein überragendes neues Album über Martin Luther King („Pastor’s Paradox“) veröffentlicht. Er hat die Struktur von dessen Reden auf geniale Weise für ein ungewöhnliches Jazz-Ensemble mit u.a. Klarinettist Don Byron, Drummer Pheeroan akLaff, Spoken-Word-Vokalist Mtume Gant und zwei Cellisten(!) arrangiert. Das ebenso trotzige wie verzweifelte „Who said there is no ties?“ („Wer sagt, es gibt keine Fesseln?“) aus Martin Luther Kings berühmter „I have a dream“-Rede, hat leider auch viel mit den heutigen USA zu tun und wird von der Band brutal in Szene gesetzt.

Und weil wir gerade beim boomenden „Spoken Word“ sind: Da ist eine aus der schwarzen US-Protestbewegung entstandene sensationelle Band dringend zu empfehlen: „Irreversible Entanglements“ (unumkehrbare Verbindungen) mit ihrem neuen bei Impulse erschienenen Album „Protect your light“ (beschütze dein Licht) und der formidablen Vokalistin Camae Ayewa. Der Opener des Albums „Free Love“ wirkt wie eine unbekümmert ausgelassene Kurzversion von Coltranes beseeltem Titel „A Love Supreme“.