Vierzig Bühnen, zwei davon in Wien, haben „Le Grand Macabre“ seit der Stockholmer Uraufführung 1978 schon gezeigt. Die Staatsoper in Ligetis zweiter Heimatstadt nicht. Zu aufwendig schien den Direktoren das Werk, zu schwierig und zu wenig „repertoiretauglich“. Die stehenden Ovationen für Musik und Regieteam der späten Erstaufführung setzten sie ins Unrecht.
Die Wahl von Jan Lauwers als Regisseur, Bühnenbildner und Choreographen erwies sich als Glücksgriff. Der Flame vermeidet jede Aktualisierung der 1934 von seinem Landsmann Michel de Ghelderode erdachten Groteske über den Ausfall der Apokalypse wegen Alkoholisierung des Sensenmanns. Er lässt schlicht Pieter Breughels Wimmelbild „Der Triumph des Todes“ auf gezackte Paneele am Bühnenrand projizieren. Ein paar Tische, ein aufblasbares Riesenpferd, zwei gigantische Marionetten und die dem Bild entliehenen Kostüme Lot Lemms genügen ihm als Rahmen für sein zeitenthobenes Endspiel.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der rätselhafte Nekrotzar, eine großsprecherische, gewalttätige und lächerliche Karikatur des Knochenmanns. Mit großer Geste tritt Georg Nigl aus dem goldenen Grab im Bühnenhintergrund, um das Ende der Welt mithilfe eines Kometen zu vollstrecken. Bis zum Termin – natürlich Mitternacht – entlockt er seiner Kehle die ganze Bandbreite möglicher Laute, entleibt die sexsüchtige Mescalina, stiftet Unordnung am dysfunktionalen Hof des läppischen Fürsten Gogo (klangprächtig der Counter Andrew Watts) und säuft sich schließlich als einziger selbst in den Tod. Was bleibt? Wer weiß.
Tour d′Horizon durch die Musikgeschichte
Ligeti hat zu den zotig derben Holzhammerreimen des Librettos eine raffinierte Tour d′Horizon durch die Musikgeschichte komponiert. Lustvoll bricht er alle Tabus seiner Zunftgenossen. Amando und Amanda, das lyrische Liebespaar Maria Nazarova und Isabel Signoret, singen unverschämt innige Kantilenen und schrecken vor keiner Harmonie zurück. Den drei Schlagzeugern scheint kein Instrument zu gering: sie zerknüllen Zeitungen, lassen Papiersäcke platzen, Autohupen plärren zur Ouvertüre ironisch zwölf Töne in den Raum, Türklingeln schrillen. Ihr Treiben provoziert befreite Lacher, was bei neuer Musik eher selten passiert.
Höhepunkt des Spuks ist der Auftritt der Chefin der Geheimpolizei Gepopo. Das virtuose Stück beamteten Wahnsinns schleudert Sarah Aristidou mit respektgebietender Bravour in den Saal. Marina Prudenskaya foltert als sadistische Mescalina ihren masochistischen Gemahl Wolfgang Bankl mit selbstvergessener Hingebung. Orgelnd entwindet der sich ihrer Dominanz. Gerhard Siegel assistiert Nekrotzar mit ausdrucksstarkem Tenor.
Pablo Heras-Casado, das Staatsopernorchester und der Slowakische Philharmonische Chor transformieren mit Hingabe die hochkomplexe, polystilistische Partitur Ligetis in ein sprühendes Feuerwerk, das auch Ungeübte zu Begeisterungsstürmen hinriss.
Thomas Götz