„Ich habe das Gefühl, dass wir gegen etwas kämpfen, dem wir nicht gewachsen sind. Sie haben ihr System perfektioniert, und es ist genial. Kein Wunder, dass Leute sich umbringen oder niemals reden, wenn sie die Kirche verlassen.“ Man kann die verzweifelte Resignation von Robin Ellacott bestens verstehen: Rund 800 Seiten lang hat man die Privatermittlerin da bereits dabei begleitet, wie sie sich im ländlichen Norfolk undercover bei der „Universal Humanitarian Church“ eingeschleust hat. Und man hat quasi hautnah miterlebt, was es mit einem Menschen macht, der permanent einer Gehirnwäsche sowie emotionaler und körperlicher Demütigung ausgesetzt war und ganz knapp noch viel Schlimmerem entkommen ist.

In ihrem siebten Fall um den kriegsversehrten Privatermittler Cormoran Strike und dessen Partnerin Robin schickt Joanne K. Rowling alias Robert Galbraith ihr Duo in einen erbitterten Kampf gegen eine pseudoreligiöse Bewegung, deren charismatischer Anführer Jonathan Wace reihenweise Anhänger rekrutiert. Ein besorgter Vater fürchtet um die Gesundheit seines Sohnes, der sich der Sekte angeschlossen hat, und bittet das Duo um Hilfe. Doch bald müssen Cormoran und Robin entsetzt feststellen, dass ihre Ermittlungen einen hohen Blutzoll fordern.

Robert Galbraith. Das strömende Grab. Blanvalet, 1296 Seiten, 31,50 Euro
Robert Galbraith. Das strömende Grab. Blanvalet, 1296 Seiten, 31,50 Euro © Blavanelt

Im Vorgängerroman „Das tiefschwarze Herz“ hat sich Rowling/Galbraith dem Thema Cybermobbing gewidmet – eine Erfahrung, die die Autorin übrigens auch selbst teilt, war sie doch nach umstrittenen Transgender-Aussagen selbst so manchem Shitstorm ausgesetzt. Auch im neuen Roman greift sie ein brisantes Thema auf: Was bringt Menschen dazu, sich einer umstrittenen Kirche anzuschließen und zu bleiben? Wie ohnmächtig ist man, wenn Familienmitglieder in einer Bewegung verschwinden und jeden Kontakt abbrechen? Wie Menschen indoktriniert werden durch das ständige Wiederholen von Glaubensgrundsätzen, verbunden mit kräftezehrenden Entbehrungen und seltenen Belohnungen, für die sie dann unverhältnismäßig dankbar sind, ist höchst plausibel erzählt. Selbst Robin, eine in sich gefestigte, taffe Persönlichkeit mit klar definiertem Auftrag, kann sich dem irgendwann nicht mehr entziehen.

Die Autorin gibt ihren facettenreichen Figuren viel psychologische Tiefenschärfe. Dafür geht sie auf knapp 1300 Seiten so manchen Umweg, was etwa Handlungsstränge rund um weitere Fälle der Detektivkanzlei betrifft. Und auch wenn ein paar Straffungen hie und da wohl nicht geschadet hätten, ist es erstaunlich, wie die einzelnen Rädchen ineinander greifen und zunehmend eine höchst beklemmende Atmosphäre entsteht. Spätestens ab der Mitte wird mit jeder neuen Wendung die Spannungsschraube ein bisschen weiter angezogen bis zum durchaus überraschenden Finale. Und das könnte auch der Beziehung von Robin und Cormoran die Wende geben, der viele Fans entgegenfiebern. Wie immer es dann wirklich weitergeht: Das ist immerhin ein kleiner Hoffnungsschimmer am Ende eines düsteren Romans, der lange nachwirkt.