Kaufmännisch geht es der Wiener Staatsoper ausgezeichnet, die Auslastung liegt bereits fast auf Vor-Corona-Niveau. Künstlerisch geht man den eingeschlagenen Weg weiter und freut sich auf den Spielstättenzuwachs in der übernächsten Saison, wenn der Französische Saal im Künstlerhaus fertig adaptiert ist. Sorgenvoll wirkte Staatsoperndirektor Bogdan Rošcic beim der Präsentation der Staasopernsaison 2023/24 nur, wenn er über Veränderungen von Kunst und Gesellschaft durch Künstliche Intelligenz sprach.

Alle Bilder des heute präsentierten und in einer Auflage von 90.000 Stück aufgelegten Spielzeitheftes für 2023/24 wurden von der KI Stable diffusion generiert, am schwersten habe sie sich bei "Lohengrin" getan, erzählte der Opernchef, dessen Vertrag bis 2030 verlängert wurde und programmatisch weiter der Frage nachgeht, "was im Kernrepertoire fehlt in diesem Haus - oder was als solches betrachtet werden soll". Von einem Spielzeitmotto halte er nichts, "aber eine zweite, zusätzliche Ebene, auf der man etwas entdecken kann" gebe es durchaus. In der nächsten Saison sei dies "ein
Gedankenspiel, was denn Verismo heute wäre oder sein müsste. Es passieren bemerkenswerte Dinge mit dem Begriff der Realität selbst, das hat auch mit KI zu tun."

Jonas Kaufmann singt den Calaf in "Turandot"

Verismo-Meister Giacomo Puccini sind mit "Il Trittico", inszeniert von Hausdebütantin Tatjana Gürbaca mit unterschiedlich besetzten Hauptrollen der drei Einzelteile, sowie "Turandot" mit Franz Welser-Möst am Pult (Regie: Claus Guth, Calaf: Jonas Kaufmann) gleich zwei der sechs Opern-Neuproduktionen gewidmet. Und doch gelte: "Oper ist nie realistisch, im besten Falle ist sie wahr", zitierte Rošcic (nicht ganz korrekt) sein eigenes Vorwort zum Spielzeitheft. Es liege die Forderung nach einem moralischen Verismo in der Luft. Angesichts fundamentaler Veränderungen in Politik und Gesellschaft steuere man auf eine Zukunft zu, in der man wohl nur noch Ereignisse auf der Bühne für bare Münze nehmen dürfe.

Und dort bekommt man an der Staatsoper in der kommenden Saison auch "Le Grand Macabre", die einzige Oper György Ligetis, das mittlerweile in Amsterdam uraufgeführte Auftragswerk "Animal Farm" von Alexander Raskatov, der auch Gast in der sonntägigen Spielplan-Präsentation vor Live- und TV-Publikum (11.30 Uhr) sein wird, Wagners "Lohengrin" (Christian Thielemann dirigiert die Koproduktion mit den Salzburger Osterfestspielen) sowie den Abschluss der von Barrie Kosky inszenierten Da Ponte-Trilogie mit "Cosi fan tutte" geboten. "In der nächsten Saison stehen sechs zentrale Mozart-Werke auf dem Spielplan", freute sich der Staatsoperndirektor, der auch auf neun Wiederaufnahmen ("Das allermeiste davon ist hier viele Jahre nicht erklungen.") und auch auf die Tatsache hinwies, dass in der nächsten Saison insgesamt 50 verschiedene Werke geboten würden.

"Barocchissimo" heißt ein Festival im Juli 2024, bei dem Cecilia Bartoli mit der von ihr geleiteten Opéra de Monte-Carlo zum zweiten Mal für ein Gastspiel an das Haus am Ring zurückkehrt. Händels "Giulio Cesare in Egitto" wertete Rošcic dabei als "unsere siebente Premiere". Dazu kommt "Their Master's Voice. Ein Gender-Duell zwischen John Malkovich und Cecilia Bartoli", inszeniert von Michael Sturminger, sowie das Galakonzert "Farinelli & Friends". Rund um das Gastspiel soll sich ein Symposium dem Thema Oper und Gender widmen.

Zwei Uraufführungen gibt es im Bereich der Kinder- und Jugendoper. "Das verfluchte Geisterschiff" von Richard Wagner und Gerald Resch als erneut von Nina Blum inszeniertes Stationentheater durch das Haus, sowie "Elektrische Fische" von der jungen österreichischen Komponistin Hannah Eisendle als 50-minütige mobile Jugendoper für drei Instrumente und zwei Stimmen, die an österreichischen Schulen gastieren soll. Bei der Adaption des Französisches Saals im Künstlerhaus als Spielstätte liege man im Zeitplan, Anfang der Saison 2024/25 könne man die Location beziehen, vor Weihnachten 2024 sei die festliche Eröffnung geplant, so der Direktor. Nicht nur Kinder-und Jugendprojekte sollen dort stattfinden. "Das ist ein einziges Instrument der Publikumsentwicklung, des Anziehens und Einbindens jüngerer Publica. Das wird auch so bleiben."

Abschied vom Ballettchef

Nicht bleiben wird dagegen Ballettdirektor Martin Schläpfer, wie gestern bekannt wurde. Er habe nach seiner eigenen Vertragsverlängerung den von ihm sehr geschätzten Schweizer ("Er ist Mitglied einer extrem kleinen Gruppe der weltbesten Choreografen, ein Meister.") eingeladen, ebenfalls einen weiteren Vertrag zu unterschreiben, sagte Rošcic. "Ich musste keine fünf Sekunden nachdenken. Er hat zu meinem Leidwesen abgelehnt." Schläpfer. Abschied sei "keine Reaktion auf Publikumsunzufriedenheit, das ist Unsinn. Das geben die Zahlen einfach nicht her." Die sind nämlich laut der Kaufmännischen Geschäftsführerin Petra Bohuslav "erfreulich". In der ersten Post-Corona-Saison ohne Einschränkungen liege man derzeit bei "fast 98,5 Prozent Sitzplatzauslastung", es habe auch Monate mit 99,8 Prozent gegeben: "Wir sind sehr, sehr gut unterwegs. Es beginnt, die Normalität wieder einzuziehen in der Staatsoper."

Geändertes Kaufverhalten

Geändert habe sich das Kaufverhalten (online wurden früher 41 Prozent der Karten gebucht, jetzt liege man bei fast 73 Prozent), das Publikum aus Japan, Korea und Russland (früher unter den Top 5 Herkunftsländern) lasse noch ziemlich aus. Ändern werden sich auch die Preise, die nicht in allen Kategorien, aber durchschnittlich um knapp vier Prozent erhöht werden. Laut Rošcic gab es im September 2018 die letzte Preiserhöhung, seitdem betrage die kulminierte Inflation 19 Prozent. "Da können Sie sehen, wie zurückhaltend die knapp vier Prozent sind." Nicht zurückhaltend sei dagegen der gewachsene Freundeskreis der Staatsoper. Dieser sei mit 1,5 Mio. Euro (zweckgebunden für Nachwuchsarbeit) der größte Einzelsponsor der Staatsoper: "Das ist eine bemerkenswerte Euro-Anzahl." Genau zwei beträgt die Anzahl der Premieren des Wiener Staatsballetts in der Staatsoper in der kommenden Saison. Die Details werden Thema eines späteren Pressetermins.