Der Posten des Musikdirektors der Wiener Staatsoper könnte so etwas wie der Klassikthron sein - und hat sich in der Geschichte doch allzu oft als Schleudersitz erwiesen. Philippe Jordan, 2020 hoffnungsfroh im Duett mit Direktor Bogdan Rošcic angetreten, wird nach Ende seines Vertrags im Herbst 2025 nicht nachbesetzt. Dass der Wiener Staatsoperndirektor künftig auf einen Musikdirektor für das Haus am Ring verzcihten würde, war schon lange gemutmaßt worden. "Ab September 2025 wird das Haus keinen Musikdirektor haben", bestätigte er in einem Interview mit dem "Standard" (Samstagausgabe) diese Gerüchte. Stattdessen will er sich nach dem bereits angekündigten Abgang des amtierenden Musikdirektors Philippe Jordan auf die "intensive Zusammenarbeit mit einer Gruppe wichtiger Dirigenten" konzentrieren.
Dabei muss man wissen, dass die Rolle des Musikdirektors keineswegs zum Standardrepertoire im Haus am Ring gehört, meist kam die Staatsoper ohne ihn aus. Dies lag zum Teil daran, dass Dirigenten wie Karl Böhm (1954 bis 1956), Herbert von Karajan (1956 bis 1964) oder Lorin Maazel (1982 bis 1984) das Haus führten. Erst Claus Helmut Drese arbeitete in seiner Direktionsperiode ab 1986 auch mit einem Musikdirektor: Claudio Abbado. Das Primat über die Besetzungen war damals eine Bedingung für die Bestellung.
Die Causa Abbado
Im Zuge des Wechsels zum neuen "Super-Direktor" Eberhard Waechter für die Staatsoper kam es dann aber zu Unstimmigkeiten. So gab die damalige Unterrichtsministerin Hilde Hawlicek (SPÖ) 1988 zunächst bekannt, Abbado werde ab 1991 nicht mehr als Musikdirektor zur Verfügung stehen, sondern in beratender Funktion und als Dirigent. Abbado drohte mittels Telegramm mit sofortigem Rücktritt - worauf man verkündete, dass Abbado parallel mit Waechters geplanter erster Amtszeit bis 1997 Musikdirektor bleiben werde.
Es kam dann doch anders, und Abbado verkündete 1991 in einem Schreiben seinen Rückzug aus gesundheitlichen Gründen. "Mein Arzt hat mir daher dringend empfohlen, den Umfang meiner Tätigkeit sofort einzuschränken", schrieb der Italiener an den ein Jahr später völlig überraschend verstorbenen Waechter. Bis dahin hatte Abbado 150 Vorstellungen als Musikdirektor am Haus dirigiert. Waechters Nachfolger Ioan Holender verzichteten dann lange auf die Bestellung eines Musikdirektors.
Als Seiji Ozawa 2002 sein Amt als Musikdirektor antrat, hatte es diese Funktion für bereits elf Jahre nicht mehr am Haus gegeben. 1999 hatte Holender den Japaner als Abbado-Nachfolger vorgestellt. Der Designierte beschied im Gegenzug: "Ich weiß nicht warum, aber ich mag die Arbeit mit Holender." Sein neues Amt startete Ozawa mit dem Dirigat von "Jonny spielt auf" von Ernst Krenek - während er als letztes Werk 2009 Tschaikowskys "Eugen Onegin" als Musikdirektor dirigierte, jenes Stück, mit dem er 1988 auch sein Hausdebüt am Ring gefeiert hatte.
Die Causa Welser-Möst
Zu diesem Zeitpunkt hatte die damalige Kulturministerin Claudia Schmied (SPÖ) bereits bekanntgegeben, dass der zu diesem Zeitpunkt 47-jährige Franz Welser-Möst neben Dominique Meyer zum "Generalmusikdirektor" der Staatsoper ab 2010 bestellt werde. Seinen Einstieg in der neuen Funktion gab der gebürtige Oberösterreicher 2010 mit Paul Hindemiths "Cardillac", leitete gleich drei weitere Premieren der Auftaktsaison und zeichnete dabei nicht zuletzt für den Janácek-Zyklus mitverantwortlich. Bereits 2012 verlängerte Schmied den ursprünglich bis 2015 laufenden Vertrag des GMD bis 2018.
Und doch endete die Amtszeit des meist konziliant auftretenden Maestros, der zugleich dafür bekannt ist, um der Sache willen auch die Zähne zeigen zu können, noch vor dem ursprünglich avisierten Vertragsende: 2014 erklärte Welser-Möst seinen sofortigen Rücktritt als Generalmusikdirektor. Der Grund seien seit längerer Zeit bestehende Auffassungsunterschiede in künstlerischen Belangen mit der Direktion, die auch in mehreren Gesprächen nicht aufzulösen gewesen seien, so die Begründung.
Die Staatsoper musste kurzfristig 34 Dirigate neu besetzen, darunter sogar drei Premieren. Und Direktor Dominique Meyer erklärte, für seine bis 2020 laufende Amtsperiode keinen Musikdirektor mehr zu suchen. Anders dann Bogdan Rošcic, der bereits 2017 als designierter Chef der Staatsoper Jordan als Compagnon präsentierte und beschied: "Wir haben gemeinsame Verantwortung für den musikalischen Bereich, dem abseits aller Opern-Polemiken immer wichtigsten eines Musiktheaters. Dessen Qualität in jedem einzelnen Punkt und jeder Personalentscheidung zur höchstmöglichen zu machen, das ist das völlig logische gemeinsame Ziel."
Jordan selbst ließ ungeachtet aller Begeisterung aber bereits zum Beginn der Auftaktsaison 2020 seine Skepsis durchscheinen. "Wenn ich mir die Ahnengalerie der Musikdirektoren in diesem Haus anschaue, dann flößt das schon Respekt ein. Und nicht nur, wenn ich mir die Namen anschaue - sondern auch wenn ich schaue, wie sie ausgeschieden sind. Da fragt man sich schon: Will ich mir das antun?", sinnierte er anlässlich der Vorstellung seiner Autobiografie. Nach einem Schlagabtausch verkündete Jordan diesen Herbst, nach Ende seines Vertrags nicht mehr als Musikdirektor zu wirken.