Ein antiquierter OP-Saal oder ein Retro-Friseur? Der erste Eindruck der von vier Seiten einsehbaren und in grellem Orange gehaltenen Plattformbühne ist ambivalent. Da stehen Hocker und ein Drehstuhl zwischen Musikinstrumenten, und dann rollt Pianist Florian Müller auf einem OP-Wagerl seine Klaviatur an und hievt sie auf die Bühne. Er beginnt zu singen, doch nicht Schönbergs Musik erklingt hier, sondern „Nothing compares 2 U“ von Prince. Auf ähnlich bizarre Weise betreten die anderen Mitglieder des Klangforum Wien die Szene, und schließlich auch die äthiopisch-schwedische Sopranistin Sofia Jernberg. Sie trägt nicht schwarz-weiße Pierrot-Kleidung, sondern einen Ornats-ähnlichen Sack samt pinkfarbenem Priester-Birett.

Den Drehstuhl verlässt sie während ihrer gesanglichen Rezitation der von Schönberg als „Pierrot lunaire“ vertonten Gedichte nicht. Gelegentlich erhebt sie sich und formt den Sack zu einem Ding, aus dem dann ein Kopf mit rollenden Augen starrt. Dabei gestaltet Jernberg die 21 Gedichte sprachlich und gesanglich eindrucksvoll und ist Teil der beherzt vom Klangforum umgesetzten Gesamtpartitur, die Ingo Metzmacher lustvoll leitet. Sie spielt viele klangliche Facetten aus, vom Schmatzen über Krächzen, und auch ihr intensiv zelebriertes Zähneputzen ist ganz klar ein Teil der Musik.

Die Figur des „Pierrot“ entstammt der Comédie-Italienne, jenem französischen Ableger der Commedia dell’Arte. Der französische Schauspieler Jean-Gaspard Deburau drückte ihr im 19. Jahrhunderts jenen romantischen-melancholischen Stempel auf, den man bis heute dem Pierrot zuschreibt. In Marlene Montero Freitas‘ Inszenierung wird Pierrot zum vieldeutigen Imaginationsraum, der eben auch einen Priester bedeuten könnte. Dem entsprechen auch die kostümierten Mitglieder des Klangforums, die ihre Priesterhemden jedoch verkehrt herum tragen. Auch sie zelebrieren ein schräges Spiel aus Klängen, witzigen Einfällen und Bewegung. Da wird dann schon einmal das Notenpult zum Esstisch.

Freitas hat unter tatkräftiger Unterstützung des wunderbaren Klangforum Wien eine auf grotesker Ästhetik basierende Performance geschaffen, die Schönbergs atonalen Klängen zu einem ganz speziellen Charme verholfen hat. Ein Highlight der Wiener Festwochen.

www.festwochen.at