Eigentlich wird alles wie geplant verlaufen: Die im Stephansdom verteilten Wiener Symphoniker und Wolfgang Kogert an der neuen Riesenorgel werden am 19. November unter der Leitung von Peter Rundel „tönendes licht“ uraufführen, ein Werk, das das Festival Wien Modern bei Klaus Lang in Auftrag gegeben hat. Nur: ohne Publikum halt – außer im Stream und im Ö 1-Radio. Wir sprachen mit dem Grazer Komponisten und Organisten, heuer Preisträger des Outstanding Artist Award 2020“, über Glauben und Klänge, über sinnliche Schönheit und seine Grundstimmung.

Viele Ihrer kryptischen Werktitel verweisen auf religiöse Kontexte. Schöpfen Sie Inspiration aus dem Glauben, wie Olivier Messiaen oder Mark Andre?
KLAUS LANG: Wenn man sich mit Kunst beschäftigt, geht es um zentrale Fragen des Menschseins. Für mich ist Musik eine sehr ernste Möglichkeit, sich in der Welt zu verorten. Jahrhunderte lang war Musik und Religion aufs Engste miteinander verknüpft, in allen Kulturen. Meine Musik hat aber nichts Bekenntnishaftes oder eine bestimmte religiöse Ideologie Verherrlichendes, sondern ist eine Auseinandersetzung mit der Geschichte als ein ständiger Strom von Querverweisen.

„tönendes licht“ ist ein Auftragswerk von Wien Modern für den Stephansdom. Wie spiegelt sich der Ort darin wider?
Das Stück ist nicht konkret für den Stephansdom komponiert, sondern für den Ort der gotischen Kathedrale und ihre spezifische Räumlichkeit. Der Bezug zur Gotik ist im Werk vielfältig: Zentral ist die Verknüpfung der sinnlichen Schönheit von Farben und Licht mit klaren Strukturen und proportionierten Formen. In die bestehende architektonische Form wird ein Klangarchitektur gebaut, die sich im Raum ständig wandelt und teilt. Man ist also in zwei Räumen. Der Klangraum vergeht ganz schnell, der andere ist seit Jahrhunderten gleich. Die Frage ist, welcher aber stärker in der Erinnerung haften bleibt.

Sinnliche Schönheit: Worin liegt die in Ihrer Musik?
Ich verwende den Begriff tatsächlich ganz bewusst als Reaktion auf politische Stücke. Jede Art von Pädagogik und Didaktik liegt mir fern. Ich will mit meiner Kunst niemanden belehren, sondern starke sinnliche Eindrücke und Erfahrungsräume schaffen. Ich stelle Klangobjekte her. Wie man die dann deutet, bleibt jedem selbst überlassen. Der Begriff Schönheit war ja lange Zeit in der Kunst regelrecht verpönt. Im Alltag spricht man von Momenten, die besonders schön sind, durch die man aus der Wirklichkeit fällt und die Zeit vergisst. Das ist vielleicht auch ein wesentlicher Aspekt des Erlebens von Schönheit in der Musik: Das Eintreten in einen zeitlosen Zustand.

Ihr Werk wird von den Wiener Symphonikern und Wolfgang Kogert als Solist an der neuen Riesenorgel im Stephansdom uraufgeführt. Sie selbst sind auch Organist. Worin liegt heutzutage der Reiz an diesem Instrument?
Mein Stück ist kein großes virtuoses Solokonzert, sondern es verschmelzen darin zwei Klangebenen: der Solopart mit dem Orchesterpart. Mich faszinierte an der Orgel immer, dass man damit so große Klangräume herstellen und unendlich lang, wie auf keinem anderen Instrument, Töne aushalten kann. Wenn man Orgel spielt hat man das Gefühl, den Klang direkt in den Händen zu halten. Es ist ein ganz direkter Bezug zur puren Klanglichkeit gegeben. Ihr Klang hat ein starkes Eigenleben: Man sagt, man hört die Orgel spielen, nicht jemanden die Orgel spielen.

„Stimmung“ ist das heurige Thema von Wien Modern. Die Wiener Symphoniker sind mit 443 Hertz, die Domorgel je nach Lufttemperatur gestimmt. Wie ist Ihre Grundstimmung zurzeit?
Am meisten Sorge bereitet mir, dass die Menschen irgendwie das Bewusstsein dafür verlieren, wie wichtig Kunst und Musik für die Gesellschaft ist. Wenn man alles verschiebt und zusperrt, läuft man Gefahr, dass es vielleicht nie wieder stattfindet und wir etwas ganz Wichtiges und Wertvolles verlieren.

„tönendes licht“ von Klaus Lang: Videostream live am 19.11. um 19.30 Uhr, Ö1-Mitschnitt: 24.11., 23 Uhr.