Der Erfolg des Romans war sensationell, auch als Theaterstück und Film machte "Tschick" von Wolfgang Herrndorf Furore. Jetzt wurde am Theater Hagen die Oper von Ludger Vollmer uraufgeführt.
Eigentlich ist es ein Ding der Unmöglichkeit, einen Text wie "Tschick" von Wolfgang Herrndorf auf die Opernbühne zu bringen. Es tobt das pralle Leben, es findet sich ein grelles Panoptikum der menschlichen Schrulligkeiten und gesellschaftlichen Tabus, der gescheiterten Lebensentwürfe und des Aufbruchs in eine ungewisse Zukunft. Herrndorf hat mit seinem Buch den Nerv einer Generation mit einer außergewöhnlichen Mischung aus Witz und Dreistigkeit getroffen. Das dramaturgische Tempo ist rasant, die Probleme, die es mit den Mitteln der Oper zu lösen gilt, sind erdrückend.
Am Theater Hagen versucht man sich in der gleichnamigen Oper zumindest daran. Das Tempo hat man für die Bühne adaptiert: Im Libretto von Tiina Hartmann wird der Text gestrafft und der dramaturgische Bogen komprimiert. Das hat durchaus etwas Zeitgeistiges und entspricht dem Buch: schnelle Schnitte, rasante Bildwechsel. Das Premierenpublikum reagierte begeistert, aber nicht enthusiastisch.
In den gut zwei Stunden Spieldauer werden 29 Szenen abgearbeitet. Manche dauern nur Sekunden. Reflektierende Momente, in denen oft der Chor als übergeordnete gesellschaftliche Instanz ins Spiel kommt, gibt es nur selten. Und wenn es sie gibt, dann sind sie genauso wie alle Szenen rasch vorbei.
Das ist auch das größte Manko dieser unterhaltsamen und kurzweiligen Oper. Schon der Filmversion von Fatih Akin wurde vorgeworfen, Herrndorfs Text nur allzu brav zu bebildern. Komponist Vollmer und Librettistin Hartmann tappen leider in die gleiche Falle. Denn obwohl das Libretto den Text sprachlich gekonnt verdichtet - das dramaturgische Grundproblem einer operngerechten Realisierung des Originaltextes löst es nicht. Zu sehr will man das dramaturgische Tempo des Romans auf Opernformat trimmen, zu wenig besinnt man sich dabei auf die besonderen Stärken dieses Formats.
Vollmer, mit seinen Opern zu "Gegen die Wand" und "Lola rennt" ein Spezialist für filmisch gedachte Genres, hüllt das Libretto in ein durchaus gefälliges Klanggewand. Sein Stil ist stets polyglott, musikalisch ungeheuer vielseitig, stilistisch anpassungsfähig. Romantisch angehauchte Melodien findet man hier genauso wie schrille Tonmalerei, humorvoll Parodistisches und mal mehr, mal weniger subversive Provokationen. Nur selten vermag die Musik die Atmosphäre so zu verdichten, dass jener Theaterzauber entsteht, der das Genre Oper auszeichnet. Das in "Tschick" zu hörende handwerkliche Können Vollmers und seine aus der Konzeption des Werkes sprechende Erfahrung sind unbestritten, wirklich überspringen kann der Funke jedoch nur selten.
Roman Hovenbitzer, der Regisseur des Abends, findet wie so oft originelle Lösungen für die vielfältigen szenischen Herausforderungen dieses Stoffes und dirigiert das Bühnengeschehen mit geübter Hand. Viel wird mit Projektionen gearbeitet, mit Lichteffekten und szenischen Andeutungen. Das angesichts der zuweilen lauten Musik gelegentlich verstärkte Ensemble löst alle Aufgaben mit Bravour, schauspielerisch wie sängerisch, allen voran die überragenden Hauptdarsteller Andrew Finden als Maik und Karl Huml als Tschick. Auch Kristine Larissa Funkhauser als Isa hinterlässt einen großartigen Eindruck, ebenso wie die gut besetzten Nebenrollen und der Chor nebst Extrachor des Theaters Hagen.
Das Philharmonische Orchester Hagen erweist sich unter der Leitung von Florian Ludwig, der stets alle Fäden sicher in der Hand hält, als Klangkörper, der das musikalische Spektrum von Pop-Anklängen bis hin zu modernistischen Attacken gekonnt zu bedienen weiß.
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