Am 30. März präsentiert der lettische Starregisseur Alvis Hermanis seine Interpretation von Richard Wagners Bühnenweihfestspiel "Parsifal". Die APA sprach mit dem 51-Jährigen aus diesem Anlass über die Egomanie seines Standes, die Demut in der Oper und seinen familiär bedingt erzwungenen Optimismus.
Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie für ein Repertoirehaus oder für ein Festival inszenieren?
Alvis Hermanis: In einem fixen Haus muss eine Inszenierung zumindest für einige Spielzeiten halten. Das musst Du als Regisseur im Kopf haben, damit es auch noch Sinn hat, wenn die schlechten Sänger kommen. Jetzt arbeiten wir sechs, sieben Wochen an der Produktion. Künftig haben die Beteiligten vielleicht zwei Proben und müssen dann auf die Bühne. Ich muss als Regisseur garantieren können, dass die Geschichte auch dann nicht auseinanderfällt. Eine Szene muss so organisiert sein, dass die Position der Beteiligten auch dann aufgeht, wenn die Sänger mit ihrem eigenen psychologischen Konzept kommen.
Im Gegensatz zu Ihren Theaterarbeiten haben Sie in der Oper mit dem Dirigenten immer einen zweiten Chef im Ring. Ist das schwierig für Sie?
Hermanis: Alle Regisseure sind in der einen oder anderen Form Egomanen. Wenn man in der Oper arbeiten will, muss man das etwas zurückfahren - oder zumindest kaschieren. Wenn man Regisseur in der Oper ist, ist man hinter Komponist, Dirigent, Sängern und Bühnenbildner erst die Nummer 5. Der Bühnenbildner ist hier viel wichtiger als der Regisseur. Insofern habe ich Gott sei Dank den Vorteil, beides in einem zu sein. Am Anfang war es für mich nicht leicht, aber mittlerweile genieße ich es, etwas demütig zu sein. Wenn Sie etwa an der Scala arbeiten, wartet niemand auf "Regietheater", sondern man muss die Italiener glücklich machen - mit all den tausend Regeln. Das ist wie beim japanischen Kabuki-Theater: Die Regeln und Traditionen sind strikt. Niemand erwartet Innovationen von Dir. Das bedeutet aber nicht, dass Deine Kreativität innerhalb dieses Rahmens nicht gefragt ist. Aus professioneller Sicht ist das die größere Herausforderung.
Spüren Sie diesen Druck der Tradition auch bei einem "Parsifal" an der Staatsoper?
Hermanis: Wenn ich das nicht selbst spüre, sagen mir das meine erfahrenen Kollegen - hoffe ich zumindest.
Hat für Sie die Klassifizierung des "Parsifal" als "Bühnenweihfestspiel" eine Bedeutung? Erarbeiten Sie das Werk anders als andere Opern?
Hermanis: Das ist für das Publikum eher ein meditativer Abend. Ich kann also akzeptieren, falls die Zuschauer die Augen zumachen und sich auf ihr Inneres konzentrieren, wenn ihnen die Bilder nicht gefallen. Aber wir haben ein interessantes Konzept, indem wir den "Parsifal" ins Otto-Wagner-Spital vor dem Ersten Weltkrieg verlegen. Die Bühne besteht aus Wagner-Architekturzitaten. Dieser "Parsifal" ist sehr wienerisch. Es ist eine Parsifal-Therapie. Gurnemanz und Klingsor sind Chefärzte, die glauben, dass sie die kranke Rittergesellschaft mit einer Parsifal-Therapie kurieren können.
Ist ein spirituelles Werk wie der "Parsifal" heutzutage nur mehr als Fantasie von geistig Behinderten denkbar?
Hermanis: Ich befürchte fast ja. Wenn man das Leben vor 20 Jahren vergleicht... Künstler sind heute Geschäftsleute. Der Kunstmarkt ist extrem grausam geworden. Träumer und fragile Seelen können da nur schwer überleben. Es gibt sie vielleicht noch, aber wir hören nichts mehr von ihnen.
Sehen Sie sich selbst nicht als Träumer?
Hermanis: Ich hatte das Glück, zu der Generation zu gehören, die noch in einer anderen Mentalität aufgewachsen ist, idealistischer war. Ich musste nie einen Pakt mit dem Teufel eingehen. Ich musste in meinem Leben nie etwas nur um des Geldes Willen machen. Schauen Sie sich die Megastädte wie Paris oder New York heute an. Das waren einmal große Künstlerkolonien. Heute können sich nur noch reiche Künstler leisten, da zu leben. Oder die mit reichen Eltern, was oft genug der Fall ist. Ich bin glücklich, nicht mehr jung zu sein. Wenn man Violine spielt und alle um dich herum E-Gitarre, wird man dich nicht hören.
Ist das ein Grund, weshalb Sie Ihren "Parsifal" im Fin de Siecle ansiedeln? Weil die Kunst damals noch anders positioniert war?
Hermanis: Vor dem Ersten Weltkrieg war Wien das Laboratorium für den ganzen Planeten. Hier wurde das 20. Jahrhundert vorbereitet, wie heute im Silicon Valley das 21. Jahrhundert. Hier fanden sich so viele Persönlichkeiten, die alle ihren Gral gesucht haben. Und auch die "Parsifal"-Gemeinschaft ist krank, verwundet. Es gibt keine vertikale Orientierung mehr, nur mehr die in die Horizontale. Das ist eine Parallele zu unserer Zeit.
Die Krise des Fin de Siecle ist letztlich im großen Krieg kulminiert. Sehen Sie einen solchen auch heute am Horizont?
Hermanis: In jedem Land sind die Gesellschaften in zwei feindliche Lager gespalten, die völlig unterschiedliche Konzepte davon haben, wie man das Leben organisiert. Es gibt nun zwei Optionen: Man sucht den Kompromiss oder bringt sich gegenseitig um. Ich glaube, dass wir in den kommenden Jahren einen Kompromiss sehen werden, da sich in jeder größeren Gruppe die Mehrheit in der Mitte findet, einen Hausverstand hat. Das wird sich stabilisieren.
Sind Sie generell ein Optimist?
Hermanis: Auf lange Sicht ja. Das muss ich auch sein - ich habe sieben Kinder. Kurzfristig bin ich aber Pessimist.
Der "Parsifal" ist eine Zeitlupenoper. Gehen Sie als Regisseur da mit oder versuchen Sie, den langsamen Rhythmus zu beschleunigen?
Hermanis: Die sehr reduzierte Geschwindigkeit ist Wagners Trick, das Unterbewusstsein zu erreichen. Man kann mit der Musik verschmelzen wie bei einem Drogentrip. Zugleich sinkt die Aufmerksamkeitsspanne unseres Publikums von Jahr zu Jahr. Sich für ein paar Stunden in einen dunklen Raum zu setzen und sich Theater anzusehen ist wie das Lesen von dicken Büchern. Das machen immer weniger. Aus diesem Grund muss man sich als Regisseur die Frage stellen, ob man für den schwindenden Anteil des Publikums arbeitet, das noch dicke Wälzer liest oder für die anderen.
Die Frage, ob Sie kürzen, stellt sich bei der Oper ja andererseits nicht...
Hermanis: Es gibt sicher auch Wagner-Gegner, die kürzen würden. Aber wenn man wie ich wochenlang in Proben sitzt und diese Musik so oft hört, fühlt man sich irgendwann, als hätte man es selbst komponiert. Sie kriecht dir unter die Haut. Aber natürlich ist die Oper eine elitäre Kunstform. Sie ist nicht gedacht als demokratische Kunstform für alle, sondern zielt auf die, die sie wertschätzen wollen.
Martin Fichter-Wöß/APA