Letztlich ist eine Diktatur doch nichts als eine Inszenierung. Mit "Just Call Me God" haben John Malkovich, Martin Haselböck und Michael Sturminger wieder einen Musiktheaterabend rund um eine abgründige Kunstfigur geschaffen. Am Sonntagabend wurde das Stück, das einem fiktiven Diktator kurz vor der endgültigen Entmachtung eine Bühne bietet, im Wiener Konzerthaus bejubelt.
Zuerst Jack Unterweger, dann Giacomo Casanova, nun Satur Diman Cha. Das Trio aus Schauspieler Malkovich, Organist und Dirigent Haselböck und Regisseur Sturminger hat schon Erfahrung damit, Porträts von Männern mit ebenso komplizierten wie beängstigenden psychischen Strickmustern zu zeichnen. Die neueste Kreation, der fiktive Diktator, der ein fiktives Land seit mehr als dreißig Jahren eisern regiert und in den Wirren von Bürgerkrieg und Invasion Zuflucht in seinem unterirdischen Wüstenpalast gesucht hat, ist als Hybrid aus diversen historischen Figuren angelegt, ausgestattet mit einem Fantasieakzent und einer Fantasieuniform - und mit einer Orgel.
Denn als die Sturmtruppen mit gezückten Maschinengewehren in den Konzertsaal eindringen und vorsichtig das Licht aufdrehen, entdecken sie zunächst das gewaltige Instrument, dass sich der Diktator bauen ließ. Der Reverend der Truppe (Martin Haselböck) setzt sich an die Orgelbank und schlägt einige Töne an, als Schüsse fallen und der Diktator selbst in Erscheinung tritt - verkleidet als Putzfrau. Den Organisten - er nennt ihn Bach - lässt er mit Klebeband an die Bank fesseln und verlangt nach Musik. Etwas Gewichtiges, etwas Dunkles. Bach erklingt da und Liszt, der Walkürenritt von Wagner und Improvisationen, die von der Live-Elektronik ins Loop übernommen werden.
Sophie von Kessel spielt eine Reporterin, die die Truppen begleitete und den Diktator zu einem letzten Interview überreden will. Er nennt sie "Sweetheart", macht durchaus gepflegte Konversation, ohne aber einen Zweifel daran zu lassen, dass es dabei nur um eine Verzögerung geht - "before I fuck you and kill you". Doch sie insistiert: Ob er nicht noch etwas sagen wolle, in die Kamera, ein Vermächtnis. Diman Cha hebt an zu einer zornigen Abschiedsrede, in der er der wohlstandsverwöhnten westlichen Welt den Untergang prophezeit - jetzt, wo er nicht mehr da sein wird, um die Massen der Unterprivilegierten per Gewalt zurückzuhalten.
Es ist einer der wenigen Momente, in denen so etwas wie Aktualität durchscheint durch das artifizielle Gewebe dieses Abends. Denn obwohl Malkovich als Charakterkopf brilliert, über den man bei aller Gefährlichkeit immer wieder nervös lachen muss, bleibt Satur Diman Cha sowohl eine wirklich schlüssige Psycho-Logik, als auch jegliche politische Relevanz schuldig. Der Topos des Diktators wird gekonnt ästhetisiert und für einen kurzweiligen und stimmigen Musiktheaterabend umgesetzt. Doch da steht die politische Dimension im Dienste der künstlerischen - und nicht umgekehrt. Verglichen mit Unterweger und Casanova bleibt dieser brutale Autokrat eine Plattitüde, leer unter dem exzentrischen Auftritt. Aber wer weiß, vielleicht hat man genau damit eben doch das Wesen des Diktators getroffen.
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Maria Scholl/APA